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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_621/2023  
 
 
Urteil vom 23. Mai 2024  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Chaix, Müller, 
Gerichtsschreiber Bisaz. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Gemeinde Fällanden, 
8117 Fällanden, 
handelnd durch den Gemeinderat Fällanden, Schwerzenbachstrasse 10, 8117 Fällanden, Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Markus Rüssli, 
 
gegen  
 
A.________, 
Beschwerdegegnerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Hermann Lei, 
 
Bezirksrat Uster, 
Amtsstrasse 3, 8610 Uster. 
 
Gegenstand 
Unterbringungsplätze für Flüchtlinge; Verletzung 
der politischen Rechte, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 4. Kammer, vom 12. Oktober 2023 (VB.2023.00504). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Der Gemeinderat Fällanden bewilligte am 6. April 2023 einen Kredit über Fr. 1'250'000.-- als gebundene Ausgabe für die Anschaffung von Wohncontainern zur Unterbringung von insgesamt 64 Asylsuchenden. Am 30. Mai 2023 genehmigte er für dasselbe Projekt einen Zusatzkredit über Fr. 300'000.--, ebenfalls als gebundene Ausgabe. 
 
B.  
Gegen beide Beschlüsse erhob u.a. A.________ Stimmrechtsrekurs beim Bezirksrat Uster. Mit Beschluss vom 17. August 2023 wies der Bezirksrat Uster die Rekurse in den zuvor vereinigten Verfahren ab (Dispositiv-Ziff. II), verzichtete auf die Erhebung von Verfahrenskosten (Dispositiv-Ziff. IV) und entzog einer allfälligen Beschwerde in Dispositiv-Ziff. VI die aufschiebende Wirkung. 
 
C.  
Am 4. September 2023 führte A.________ Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich und beantragte, die Beschlüsse des Gemeinderats Fällanden vom 6. April 2023 und vom 30. Mai 2023 seien aufzuheben. Mit Urteil vom 12. Oktober 2023 hiess das Verwaltungsgericht die Beschwerde gut und hob die Beschlüsse des Gemeinderats Fällanden vom 6. April 2023 und vom 30. Mai 2023 sowie die Dispositiv-Ziff. II des Beschlusses des Bezirksrats Uster vom 17. August 2023 auf. 
 
D.  
Mit Eingabe vom 17. November 2023 erhebt die Gemeinde Fällanden dagegen Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht. Sie beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 12. Oktober 2023 aufzuheben. 
A.________ beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Das Verwaltungsgericht hat sich zur Sache geäussert. Der Bezirksrat Uster verzichtet auf eine Stellungnahme. Die Gemeinde hält an ihrem Antrag fest. Die Regierung des Kantons Zürich hat der Gemeinde eine Stellungnahme zuhanden des Bundesgerichts zukommen lassen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die weiteren Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen (Art. 29 Abs. 1 BGG) und mit freier Kognition (Art. 95 lit. a BGG; BGE 149 I 66 E. 1.3; 149 II 462 E. 1.1 mit Hinweisen). Immerhin sind die sachverhaltlichen Grundlagen, auf die sich die Zulässigkeit einer Beschwerde stützt, von den Beschwerdeführenden darzulegen, soweit sie nicht auf der Hand liegen, namentlich auch in Bezug auf die Legitimation (BGE 145 I 121 E. 1; 142 V 395 E. 3.1; je mit Hinweisen). 
Die frist- (Art. 100 Abs. 1 BGG) und formgerecht (Art. 42 BGG) eingereichte Eingabe betrifft eine Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a BGG) und richtet sich gegen das kantonal letztinstanzliche Urteil (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG) eines oberen Gerichts (Art. 86 Abs. 2 BGG). Da kein Ausschlussgrund vorliegt (Art. 83 BGG), ist das Rechtsmittel als Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig, sofern die Gemeinde hierzu legitimiert ist. 
 
2.  
Zu prüfen ist somit das Beschwerderecht der Gemeinde. Nach Ansicht der Gemeinde scheidet mangels Autonomie der Zürcher Gemeinden im Ausgabenrecht eine Berufung auf die Gemeindeautonomie aus, weshalb sie sich auch nicht auf Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG berufen könne. Sie beruft sich zu Recht auch nicht auf einen Legitimationsgrund nach Art. 89 Abs. 3 BGG. Sie macht aber geltend, sie sei nach Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde legitimiert. 
 
2.1. Nach Art. 89 Abs. 1 BGG ist zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat, durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat. Diese Regelung ist in erster Linie auf Privatpersonen zugeschnitten, doch kann sich auch das Gemeinwesen darauf stützen, falls es durch einen angefochtenen Entscheid gleich oder ähnlich wie ein Privater oder aber in spezifischer, schutzwürdiger Weise in der Wahrnehmung einer hoheitlichen Aufgabe betroffen wird, namentlich wenn einem Entscheid präjudizielle Bedeutung für die öffentliche Aufgabenerfüllung zukommt. Die Beschwerdebefugnis zur Durchsetzung hoheitlicher Anliegen setzt eine erhebliche Betroffenheit in wichtigen öffentlichen Interessen voraus. Das allgemeine Interesse an der richtigen Rechtsanwendung begründet keine Beschwerdebefugnis im Sinne dieser Regelung. Gestützt auf die allgemeine Legitimationsklausel von Art. 89 Abs. 1 BGG sind Gemeinwesen nur restriktiv zur Beschwerdeführung zuzulassen (BGE 147 II 227 E. 2.3.2; 141 II 161 E. 2.1 mit Hinweisen).  
 
2.2. Die Gemeinde begründet ihre Beschwerdebefugnis nach Art. 89 Abs. 1 BGG damit, dass das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts sie in der Wahrnehmung einer hoheitlichen Aufgabe betreffe. Aufgrund der überdurchschnittlich hohen Zahl neuer Asylgesuche seit 2022 habe die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich am 6. März 2023 die Aufnahmequote der Gemeinden von bislang 0,9 % per 1. Juni 2023 auf 1,3 % der Wohnbevölkerung erhöhen müssen. Letztmals sei wegen des Krieges in der Ukraine die Aufnahmequote per 19. April 2022 von 0,5 % auf 0,9 % erhöht worden. Die zusätzlichen Unterbringungsplätze hätten von den Gemeinden per 1. Juni 2023 zur Verfügung gestellt werden müssen. Die Gemeinden, die das noch nicht gemacht hätten, würden sich in Verzug befinden und müssten unverzüglich Plätze bereitstellen, um ihre Quote zu erfüllen.  
Die erneute Erhöhung der Aufnahmequote habe für die Gemeinde zur Folge, dass sie zusätzlich 38 Personen unterbringen müsse. Weil die Gemeinde u.a. aber auch Personen, die bislang privat untergebracht werden konnten, übernehmen müsse, erhöhe sich ihr Bedarf an zusätzlichen Unterbringungsplätzen auf 65. Im April 2023 habe die Gemeinde lediglich noch über neun freie Plätze verfügt. Da es nahezu unmöglich sei, die fehlenden Unterbringungsmöglichkeiten auf dem freien Wohnungsmarkt zu beschaffen, habe der Gemeinderat am 6. April 2023 beschlossen, Wohncontainer anzuschaffen. Dafür habe er gestützt auf Art. 28 Abs. 2 Ziff. 2 der Gemeindeordnung der Gemeinde Fällanden vom 13. Juni 2021 gebundene Ausgaben in der Höhe von Fr. 1'250'000.-- und am 30. Mai 2023 einen Zusatzkredit von Fr. 300'000.--, ebenfalls als gebundene Ausgabe, bewilligt. Geplant sei ein zweistöckiges Gebäude im Modulbau mit Wohncontainern (befristet auf fünf Jahre). In den vorgesehenen 16 Zimmern für je 4 Personen könnten bei einer Vollbelegung 64 Personen untergebracht werden. Der Beschluss zu den gebundenen Ausgaben stütze sich auf eine Meinungsäusserung des Vorstehers der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich vom 25. November 2022. Dieser habe in einem Schreiben an den Verband der Gemeindepräsidien dargelegt, dass die Planung und Bereitstellung von weiteren Unterbringungsleistungen im Hinblick auf die allfällige Aufnahme weiterer Personen ("Vorhalteleistungen") in der aktuellen Situation zwingend notwendig sei, weshalb es sich um gebundene Ausgaben handle. Gestützt hierauf hätten auch andere zürcherische Gemeinden die Kosten für die Beschaffung von (temporären) Wohncontainern für gebunden erklärt. Dadurch, dass die Gemeinde gemäss dem angefochtenen Urteil den Kredit der Gemeindeversammlung vorlegen müsse, verlängere sich das Verfahren zur Bereitstellung der Plätze. Es reiche nicht, die Betreuungsplätze innert "nützlicher Frist" zu schaffen, wie dies das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil meine. Die Menschen seien da und müssten untergebracht werden, sobald sie vom Kanton der Gemeinde zugewiesen würden. Deshalb habe der Kanton die Bereitstellung der zusätzlichen Plätze auf den 1. Juni 2023 vorgeschrieben. Der vom Verwaltungsgericht verlangte Einbezug der Gemeindeversammlung hindere die Gemeinde an der rechtzeitigen Erfüllung der ihr vom Bund und vom Kanton auferlegten Pflicht, Asylsuchende unterzubringen, zumal ein Nein der Gemeindeversammlung zum Kreditantrag nicht auszuschliessen sei. Die Gemeinde sei im Sinne der bundesgerichtlichen Praxis in spezifischer Weise in der Wahrnehmung einer hoheitlichen Aufgabe (der Unterbringung von Asylsuchenden) betroffen und daher gestützt auf Art. 89 Abs. 1 BGG legitimiert, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 12. Oktober 2023 anzufechten. 
 
2.3. Streitig ist in der Sache, ob die vom Gemeinderat bewilligten Ausgaben in der Höhe von Fr. 1'250'000.-- (Kredit) bzw. von Fr. 300'000.-- (Zusatzkredit) als neu oder als gebunden zu qualifizieren sind. Davon hängt ab, ob der Gemeinderat selbst entscheiden darf oder ob er die Entscheidung über die Kredite der Gemeindeversammlung überlassen muss. Es geht damit im Kern um eine Kompetenzfrage zwischen zwei Organen der Gemeinde, nämlich zwischen dem Gemeinderat und der Gemeindeversammlung.  
Welche Ausgaben als "gebunden" und welche als "neu" zu qualifizieren sind, ist aufgrund von § 103 Abs. 1 des Gemeindegesetzes des Kantons Zürich vom 20. April 2015 (GG/ZH; LS 131.1) und damit gestützt auf kantonales Recht auszulegen (vgl. MARKUS RÜSSLI, in: Kommentar zum Zürcher Gemeindegesetz und zu den politischen Rechten in den Gemeinden, 2017, N. 3 zu § 103 GG). Aufgrund der rechtlichen Qualifikation des Verwaltungsgerichts als neue Ausgaben sind die vom Gemeinderat gesprochenen Kredite der Gemeindeversammlung zur Entscheidung vorzulegen. Dies bringt eine Verzögerung mit sich, die sich auf die Erfüllung einer hoheitlichen Aufgabe der Gemeinde auswirkt, nämlich auf die Unterbringung von Asyl- und Schutzsuchenden, wie die Gemeinde zu Recht geltend macht. Die Gemeinde legt in ihren Ausführungen jedoch nicht dar und es ist auch nicht ohne Weiteres ersichtlich, inwiefern es sich bei der Unterbringung von Asyl- und Schutzsuchenden um ein im Sinne der Rechtsprechung wichtiges öffentliches Interesse der Gemeinde handeln soll, bei welchem die Gemeinde gestützt auf Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde beim Bundesgericht berechtigt wäre (vgl. vorne E. 1 und 2.1). Dies ist nicht weiter zu vertiefen. Jedenfalls ist die Gemeinde, wie dargelegt, durch das angefochtene Urteil bloss insoweit in dieser Aufgabe betroffen, als ein zusätzliches Gemeindeorgan einzubeziehen ist und dies mit einem gewissen zusätzlichen Zeitaufwand einhergeht. Der Inhalt der Aufgabe wird vom angefochtenen Urteil dagegen nicht berührt. Eine erhebliche Betroffenheit der Gemeinde in der Wahrnehmung einer hoheitlichen Aufgabe (vgl. vorne E. 2.1) ist darin nicht zu erkennen. 
 
2.4. Da Gemeinwesen gestützt auf die allgemeine Legitimationsklausel nur restriktiv zur Beschwerdeführung zuzulassen sind, ist die Gemeinde unter diesen Umständen nicht zur Erhebung des Rechtsmittels nach Art. 89 Abs. 1 BGG legitimiert.  
 
3.  
Bei diesem Ausgang ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. 
Der unterliegenden Gemeinde sind keine Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Hingegen hat die Gemeinde die anwaltlich vertretene Beschwerdegegnerin angemessen zu entschädigen (Art. 68 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Bezirksrat Uster und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 4. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 23. Mai 2024 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Der Gerichtsschreiber: Bisaz