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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
5A_335/2024  
 
 
Urteil vom 5. Juli 2024  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Herrmann, Präsident, 
Bundesrichter Bovey, Hartmann, 
Gerichtsschreiber Möckli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
1. Dr. med. B.________, Oberärztin, 
2. Dr. C.________, Assistenzärztin, 
beide Kantonsspital Winterthur, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Brauerstrasse 15, Postfach, 8401 Winterthur, 
Beschwerdegegnerinnen. 
 
Gegenstand 
Fürsorgerische Unterbringung, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 13. Mai 2024 (PA240014-O/U). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Beschwerdeführerin ist die Mutter einer im September 2011 geborenen Tochter, welche am 8. April 2024 durch die Beschwerdegegnerinnen mit ärztlicher Einweisung in der Klinik D.________ fürsorgerisch untergebracht wurde. 
 
B.  
Mit Eingabe vom 10. April 2024 wandte sich die Beschwerdeführerin zufolge der betreffenden Rechtsmittelbelehrung an das Bezirksgericht Meilen und ersuchte um Prüfung und Aufhebung der fürsorgerischen Unterbringung; sie machte geltend, die fürsorgerische Unterbringung beruhe auf Zwang und sei nicht nötig, wenn eine Person überzeugt werden könne, sich freiwillig zur Behandlung in die Klinik zu begeben. 
Das Bezirksgericht Meilen leitete die Eingabe zuständigkeitshalber an das Bezirksgericht Winterthur weiter, welches am 12. April 2024 bei der Beschwerdeführerin telefonisch nachfragte, ob damit eine Beschwerde gegen die fürsorgerische Unterbringung der Tochter beabsichtigt sei; diese hielt fest, dass sie nichts gegen den Aufenthalt ihrer Tochter in der Klinik D.________ habe, aber sich daran störe, dass dafür eine fürsorgerische Unterbringung angeordnet worden sei, weil die Tochter auch freiwillig in die Klinik eingetreten wäre. In einem weiteren Telefonat und einem Schreiben hielt die Beschwerdeführerin fest, es brauche keine Verhandlung und kein Gutachten, denn es gehe nicht um die Unterbringung in der Klinik, sondern um die Frage, ob hierfür die fürsorgerische Unterbringung als Zwangsmassnahme notwendig gewesen sei. 
Mit Verfügung vom 29. April 2024 stellte das Bezirksgericht Winterthur fest, dass der am 8. April 2024 ärztlich erlassene Unterbringungsentscheid in formeller Hinsicht korrekt sei, und trat auf die Beschwerde in materieller Hinsicht mangels einer aus den Ausführungen der Beschwerdeführerin ersichtlichen Beschwer nicht ein. Es begründete im Einzelnen wie folgt: Nachdem die Notwendigkeit einer psychiatrischen Behandlung und die Zweckmässigkeit des Klinikaufenthaltes nicht bestritten sei, bilde die materiell-rechtliche Beurteilung der fürsorgerischen Unterbringung nicht Gegenstand der Beschwerde, so dass auf eine Anhörung der Betroffenen und auf ein Gutachten verzichtet werden könne. Vielmehr werde beschwerdeweise vorgebracht, dass sich die Betroffene freiwillig in die Klinik begeben hätte und die Voraussetzung der Unfreiwilligkeit nicht gegeben sei. Indes dürfe eine Person fürsorgerisch untergebracht werden, wenn die in Art. 426 ZGB genannten Voraussetzungen gegeben seien, was vorliegend zutreffe. Der ärztliche Unterbringungsentscheid entspreche diesen materiellen und im Übrigen auch allen formellen Erfordernissen. Ohnehin aber mangle es der Beschwerdeführerin an einer Beschwer, da sie das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen für eine Unterbringung nicht bestreite. 
 
C.  
Diesen Entscheid focht die Beschwerdeführerin beim Obergericht des Kantons Zürich an, wobei sie wiederum geltend machte, es gehe einzig um die Frage der Verhältnismässigkeit bzw. der Erforderlichkeit der fürsorgerischen Unterbringung, wenn die Betroffene als Patientin bereit gewesen sei, freiwillig eine geeignete Einrichtung aufzusuchen; ein freiwilliger Aufenthalt habe als leichtere Massnahme immer Vorrang vor einer Zwangsmassnahme. Das Verhältnismässigkeitsprinzip werde verletzt und es liege somit eine Rechtsverletzung vor, wenn die fürsorgerische Unterbringung favorisiert werde, obwohl Freiwilligkeit bestünde. 
Am 13. Mai 2024 teilte die Klinik dem Obergericht mit, dass die Betroffene bereits am 26. April 2024 aus der Klinik entlassen worden sei. 
Darauf schrieb das Obergericht das Beschwerdeverfahren mit Beschluss vom 13. Mai 2024 wegen erfolgten Austritts der Betroffenen als gegenstandslos ab. 
 
D.  
Mit Beschwerde vom 24. Mai 2024 (Postaufgabe 27. Mai 2024) wandte sich die Beschwerdeführerin an das Bundesgericht. 
Das Obergericht verzichtete mit Stempel vom 6. Juni 2024 auf eine Vernehmlassung. Die Beschwerdegegnerinnen liessen innert der gesetzten Frist nicht von sich hören. 
Im Übrigen wurden die kantonalen Akten beigezogen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Abschreibungsbeschluss im Zusammenhang mit einer fürsorgerischen Unterbringung. Die Beschwerde in Zivilsachen steht grundsätzlich offen (Art. 72 Abs. 1, Art. 75 Abs. 1 und Art. 90 BGG). 
 
2.  
Die Beschwerde hat eine Begründung zu enthalten, in welcher in gedrängter Form dargelegt wird, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG), was eine sachbezogene Auseinandersetzung mit dessen Erwägungen erfordert (BGE 140 III 115 E. 2; 142 III 364 E. 2.4). 
 
3.  
Die Beschwerdeführerin moniert, dass die Ärztinnen, welche die fürsorgerische Unterbringung angeordnet hätten, nicht im Rubrum erscheinen würden sondern stattdessen die Klinik, in welcher die Betroffene untergebracht worden sei. 
Nach allgemeinem Verständnis wird im Rubrum auf der Gegenseite jeweils der einweisende Arzt (ärtzliche Unterbringung nach Art. 429 Abs. 1 ZGB) oder die zuständige KESB (behördliche Unterbringung nach Art. 428 Abs. 1 ZGB) aufgeführt. Dass im Rubrum des angefochtenen obergerichtlichen wie auch bereits in demjenigen des bezirksgerichtlichen Entscheides stattdessen die Klinik aufgeführt wird, macht in der Tat keinen Sinn, denn sie ist als Unterbringungsort weder Verfahrensgegnerin noch Verfahrensbeteiligte. Indes ist auch nicht ersichtlich, welcher konkrete Nachteil der Beschwerdeführerin dadurch entstehen soll (Art. 76 Abs. 1 lit. b BGG). 
 
4.  
In der Sache hält die Beschwerdeführerin fest, es sei keineswegs klar, ob es tatsächlich an einem aktuellen rechtlichen Interesse fehle und dieses nicht vielmehr virtuell fortbestehe, zumal auch noch die Kostenfrage im Zusammenhang mit dem Transport in einem Krankenwagen offen sei, weil sie ihre Tochter wegen der verfügten Zwangsmassnahme nicht privat in die Klinik habe fahren dürfen. Primär gehe es aber um die Frage, ob eine fürsorgerische Unterbringung angeordnet werden dürfe, wenn die Betroffene zum freiwilligen Klinikeintritt bereit sei. Diese sei zwar zwischenzeitlich aus der Klinik entlassen worden, gleichzeitig sei aber von der Klinik eine Gefährdungsmeldung an die KESB gemacht worden mit der dringenden Empfehlung, eine umfassende Abklärung einzuleiten, um die Notwendigkeit einer behördlichen fürsorgerischen Unterbringung für eine stationäre Behandlung auf einer Therapiestation zu überprüfen. Eine rechtzeitige Überprüfung der aufgeworfenen Rechtsfrage im Einzelfall wäre gar nie möglich, was sich auch vorliegend manifestiert habe. Im Übrigen gehe es um eine grundsätzliche Frage, deren Beantwortung im öffentlichen Interesse liege. Es entspreche gängiger Praxis, dass gerade bei der ärztlichen Einweisung gar nicht erst geprüft werde, ob die betroffene Person zu einem freiwilligen Klinikeintritt bereit wäre. Dies sei rechtlich nicht haltbar und es bedeute eine Verletzung des Verhältnismässigkeitsprinzips, wenn in dieser Situation dennoch die fürsorgerische Unterbringung favorisiert werde. 
 
5.  
Rechtsprechungsgemäss wird eine gegen die fürsorgerische Unterbringung erhobene Beschwerde mit der Entlassung aus der Klinik grundsätzlich gegenstandslos; vorbehalten bleibt ein virtuelles Interesse, das gegeben ist, wenn sich die gerügte Rechtsverletzung jederzeit wiederholen könnte und eine rechtzeitige gerichtliche Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre (BGE 136 III 497 E. 1.1; Urteile 5A_175/2020 vom 25. August 2020 E. 1.3, nicht publ. in BGE 146 III 377; 5A_640/2021 vom 13. Oktober 2021 E. 1.2, nicht publ. in BGE 148 III 1). 
Vorliegend richtete sich die Beschwerde aber gar nicht gegen den Klinikaufenthalt, sondern der durch die beschwerdeweise aufgeworfene Thematik bestimmte Beschwerdegegenstand betraf vielmehr die Frage, ob eine fürsorgerische Unterbringung als Zwangsmassnahme angeordnet werden darf, wenn die betroffene Person bereit ist, freiwillig in die Klinik einzutreten und sich dort behandeln zu lassen. 
Diese (vorab an sich zutreffend wiedergegebene) Fragestellung hat das Bezirksgericht in der Folge "konstruktiv missverstanden", indem es erwogen hat, soweit die Voraussetzungen gemäss Art. 426 ZGB vorlägen, sei alles rechtmässig. Das eigentliche Beschwerdethema wurde damit bewusst umgangen und die aufgeworfene Rechtsfrage gerade nicht beantwortet. Ebenso wenig hat sich das Obergericht materiell mit der topischen Frage befasst, weil es davon ausgegangen ist, dass mit der Entlassung der Betroffenen aus der Klinik die Beschwerde gegenstandslos geworden sei. Indes waren nicht die in Art. 426 ZGB genannten materiellen Voraussetzungen für eine fürsorgerische Unterbringung (psychische Störung, Selbstgefährdung, Erforderlichkeit der stationären Behandlung, Eignung der Klinik) das Beschwerdethema, sondern die Frage, ob bei Bereitschaft zu freiwilligem Eintritt in die Klinik eine fürsorgerische Unterbringung angeordnet werden darf, welche sich als gegen den Willen oder Widerstand der betroffenen Person erfolgende Massnahme mit Zwangscharakter charakterisiert (Botschaft des Bundesrates zum Erwachsenenschutzrecht vom 28. Juni 2006, BBl 2006 7001 7063; BREITSCHMID/MATT/PFANNKUCHEN-HEEB, in: Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, 3. Aufl. 2016; N. 2 Vorb. zu Art. 626-439 ZGB; TUOR/SCHNYDER/SCHMID/JUNGO/HÜRLIMANN-KAUP, Schweizerisches Zivilgesetzbuch, 15. Aufl. 2023, S. 748; ROSCH/FOUNTOULAKIS/HECK, Handbuch des Kindes- und Erwachsenenschutzrechts, 3. Aufl. 2022, Rz. 1465). 
Es bedürfte jedenfalls näherer Erläuterung, wieso diese Frage durch die Entlassung gegenstandslos geworden sein soll und nicht zumindest ein virtuelles Interesse an deren Klärung besteht: Die Betroffene war offenbar bereits vorher stationär hospitalisiert und die Klinik hat im Zug der Entlassung offenbar der KESB dringend die Prüfung einer behördlichen fürsorgerischen Unterbringung empfohlen; überdies ist die aufgeworfene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung und gerade bei der ärztlichen Einweisung könnte sie zufolge der maximal auf sechs Wochen befristeten Unterbringung kaum je (höchst-) richterlich beurteilt werden. 
Vor diesem Hintergrund rechtfertigt es sich, die Angelegenheit in dahingehender Gutheissung der Beschwerde zur materiellen Prüfung des Beschwerdegegenstandes an das Obergericht zurückzuweisen, wobei vorgängig selbstverständlich sachverhaltsmässig abzuklären sein wird, ob die Behauptung der Beschwerdeführerin, der Klinikeintritt wäre freiwillig erfolgt, zutrifft und ob sich ein freiwilliger Klinikeintritt angesichts der im ärztlichen Unterbringungsentscheid beschriebenen akuten Suizidalität der Betroffenen im vorliegenden Fall überhaupt hätte bewerkstelligen lassen. 
 
6.  
Nach dem Gesagten ist der angefochtene Beschluss in dahingehender Gutheissung der Beschwerde aufzuheben und die Sache zur Erstellung des Sachverhaltes und zur neuen Entscheidung im Sinn der Erwägungen an das Obergericht zurückzuweisen. 
 
7.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Beschwerdeführerin, welche sich nicht durch einen Anwalt hat vertreten lassen, ist kein entschädigungspflichtiger Aufwand entstanden. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
In dahingehender Gutheissung der Beschwerde wird der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich vom 13. Mai 2024 aufgehoben und die Sache zur Erstellung des Sachverhaltes und zur neuen Entscheidung im Sinn der Erwägungen an das Obergericht zurückgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben und keine Entschädigungen zugesprochen. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 5. Juli 2024 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Herrmann 
 
Der Gerichtsschreiber: Möckli