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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
2C_323/2023  
 
 
Urteil vom 5. Juni 2024  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin, 
Bundesrichterin Hänni, 
Bundesrichter Kradolfer, 
Gerichtsschreiber Kaufmann. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Philip Stolkin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Bern, 
Scheibenstrasse 70, 3014 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Staatshaftung; Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, vom 25. April 2023 (200 22 397 IV). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Mit Verfügung vom 17. Juli 2001 sprach die IV-Stelle Bern A.________ (geboren 1960) rückwirkend per 1. April 1999 eine Rente der Invalidenversicherung zu. Im Rahmen eines von Amtes wegen eingeleiteten Revisionsverfahrens (im Sinn von Art. 17 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG; SR 830.1]) veranlasste die IV-Stelle 2013 eine Observation. Zwischen dem 18. März und dem 22. März 2013, am 5. April 2013, am 1. Mai 2013 sowie zwischen dem 8. Juni und dem 12. Juli 2013 wurde A.________ entsprechend observiert. Gestützt auf die Abklärungsergebnisse sowie einen Bericht des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) vom 22. August 2013 hob die IV-Stelle Bern die Rente mit Verfügung vom 28. August 2014 auf.  
 
A.b. Die von A.________ gegen die Verfügung vom 28. August 2014 ergriffenen Rechtsmittel blieben ohne Erfolg. Das Bundesgericht bestätigte letztinstanzlich die Aufhebung der Rente mit Urteil vom 23. September 2015. Zusammengefasst erwog es, der Beschwerdeführer bringe nicht vor, die Observation sei rechtswidrig erfolgt. Die kantonalen Behörden hätten die Abklärungsergebnisse und medizinischen Unterlagen sorgfältig gewürdigt. Auf dieser Grundlage sei ein Rentenanspruch bundesrechtskonform verneint worden (Urteil 9C_415/2015 vom 23. September 2015 E. 3).  
 
A.c. Die IV-Stelle Bern erstattete am 12. Januar 2016 Strafanzeige gegen A.________ wegen unrechtmässigen Bezugs von IV-Leistungen, eventuell wegen Betrugs. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern stellte das Verfahren am 10. Juni 2020 ein. Daraufhin ersuchte A.________ um Revision des Bundesgerichtsurteils vom 23. September 2015. Mit Urteil vom 10. Dezember 2020 verneinte das Bundesgericht einen Revisionsgrund und wies das entsprechende Begehren ab (Urteil 9F_9/2020 vom 10. Dezember 2020 E. 2).  
 
B.  
Am 17. November 2017 stellte A.________ ein Staatshaftungsbegehren. Dieses wies die IV-Stelle Bern ab, woraufhin A.________ an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern gelangte und beantragte, es sei die Haftung der IV-Stelle im Grundsatz festzustellen, und es seien ihm die entgangenen Versicherungsleistungen (Fr. 917'093.-- zuzüglich Zins) sowie eine Genugtuung (Fr. 100'000.-- zuzüglich Zins) zu bezahlen. Mit Urteil vom 25. April 2023 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde ab. 
 
C.  
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht mit dem Antrag, in Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 25. April 2023 seien ihm Schadenersatz (Fr. 917'093.-- zuzüglich Zins) und eine Genugtuung (Fr. 100'000.-- zuzüglich Zins) zuzusprechen. Zudem ersucht er für das bundesgerichtliche Verfahren um unentgeltliche Rechtspflege. 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern verzichtet auf eine Vernehmlassung. Die IV-Stelle Bern beantragt in ihrer Stellungnahme die Beschwerdeabweisung. A.________ replizierte am 16. August 2023. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die weiteren Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen (Art. 29 Abs. 1 BGG) und mit freier Kognition (vgl. BGE 147 I 89 E. 1; 146 II 276 E. 1). 
 
1.1. Angefochten ist ein Endentscheid (Art. 90 BGG) einer letzten kantonalen Instanz (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG) auf dem Gebiet des Staatshaftungsrechts. Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit (Art. 82 lit. a BGG). Der erforderliche Streitwert (Art. 85 Abs. 1 lit. a BGG) ist mit Blick auf die vor Bundesgericht gestellten Rechtsbegehren gegeben. Der Beschwerdeführer ist ausserdem zur Beschwerde befugt (Art. 89 Abs. 1 BGG). Auf die im Übrigen form- und fristgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten.  
 
1.2. Nach Art. 36 Abs. 1 des Reglements für das Bundesgericht (BGerR; SR 173.110.131) richtet sich die gerichtsinterne Zuteilung einer Sache nach der Rechtsfrage, auf der das Schwergewicht der Entscheidung liegt. Der Beschwerdeführer stützt sich zwar auf die Haftungsbestimmung von Art. 78 ATSG, der Schwerpunkt der Streitsache liegt aber bei den Haftungsvoraussetzungen, die sich unstrittig nach dem Verantwortlichkeitsgesetz des Bundes (VG; SR 170.32) beurteilen (Art. 78 Abs. 4 ATSG). Die gerichtsinterne Zuständigkeit liegt daher bei der Zweiten öffentlich-rechtlichen Abteilung (Art. 30 Abs. 1 lit. c Ziff. 1 BGerR).  
 
2.  
 
2.1. Mit der Beschwerde kann u.a. die Verletzung von Bundes- und Völkerrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a und b BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), wobei es - unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 2 BGG) - nur die geltend gemachten Vorbringen prüft, sofern allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 145 V 215 E. 1.1; 142 I 135 E. 1.5). In Bezug auf die Verletzung von Grundrechten gilt eine qualifizierte Rügepflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 143 II 283 E. 1.2.2; 139 I 229 E. 2.2). Die beschwerdeführende Partei hat klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Urteils aufzuzeigen, inwiefern das angerufene Grundrecht verletzt worden sein soll (vgl. BGE 148 I 104 E. 1.5; 143 I 1 E. 1.4; Urteil 2C_534/2022 vom 21. April 2023 E. 2.1). Auf ungenügend begründete Rügen und bloss allgemein gehaltene, appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid geht das Bundesgericht nicht ein (BGE 148 I 104 E. 1.5; 145 I 26 E. 1.3; Urteil 2C_90/2022 vom 30. Januar 2023 E. 1).  
 
2.2. Die Beschwerdeschrift genügt den dargelegten Anforderungen nur teilweise. Wo der Beschwerdeführer ohne erkennbaren Fallbezug die Rechtslage aus seiner Sicht schildert, setzt er sich nicht hinreichend mit dem angefochtenen Entscheid auseinander. Sodann genügt es nicht, wenn der Beschwerdeführer lediglich stichwortartig Garantien des internationalen Rechts anruft (so z.B. Art. 8 EMRK), ohne konkret darzutun, inwiefern der angefochtene Entscheid mit diesen in Konflikt steht. Unklar bleibt auch, weshalb die Vorinstanz das Folterverbot (Art. 3 EMRK) und die Unschuldsvermutung (Art. 6 Ziff. 2 EMRK, Art. 14 Abs. 2 UNO-Pakt II) verletzt haben soll. Auf diese ungenügend begründeten Rügen ist nicht einzugehen.  
 
3.  
 
3.1. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Von den Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz weicht es nur ab, wenn diese offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinn von Art. 95 BGG beruhen (Art. 97 Abs. 1 bzw. Art. 105 Abs. 2 BGG). Entsprechende Vorbringen unterstehen der qualifizierten Rüge- und Begründungspflicht (vgl. E. 2.1 hiervor).  
 
3.2. Die Vorinstanz sah davon ab, das Staatshaftungsbegehren des Beschwerdeführers inhaltlich zu beurteilen. Der Beschwerdeführer kritisiert dieses Vorgehen und schildert ausführlich die seiner Ansicht nach haftungsbegründenden Sachverhaltselemente. Doch macht er nicht geltend, die sachlich beschränkte Beurteilung der Vorinstanz beruhe ihrerseits auf einem offensichtlich unrichtig festgestellten Sachverhalt. Insoweit bleiben die vorinstanzlichen Feststellungen für das Bundesgericht verbindlich.  
 
4.  
Der Streitgegenstand umfasst einen aus dem Vollzug des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) abgeleiteten Staatshaftungsanspruch. Die Haftung von Sozialversicherungsträgern richtet sich nach Art. 78 ATSG
 
4.1. Nach Art. 78 Abs. 1 ATSG haften die öffentlichen Körperschaften, privaten Trägerorganisationen oder Versicherungsträger für Schäden, die von Durchführungsorganen oder einzelnen Funktionären von Versicherungsträgern einer versicherten Person oder Dritten widerrechtlich zugefügt wurden. Die Bestimmungen des Verantwortlichkeitsgesetzes des Bundes sind sinngemäss anwendbar (Art. 78 Abs. 4 Satz 2 ATSG; vgl. Urteile 8C_178/2023 vom 13. Dezember 2023 E. 4.4.1; 8C_273/2019 vom 4. Juli 2019 E. 3; 8C_247/2017 vom 18. September 2017 E. 3.2.4).  
 
4.2. Ein Staatshaftungsanspruch gestützt auf Art. 78 Abs. 1 ATSG i.V.m. Art. 3 VG setzt kumulativ den Nachweis eines widerrechtlichen Verhaltens, eines Schadens und eines Kausalzusammenhangs voraus. Es handelt sich um eine Kausalhaftung (BGE 139 IV 137 E. 4.1; 132 II 449 E. 3.2; Urteil 2C_176/2022 vom 7. Februar 2024 [zur Publikation vorgesehen] E. 4.1).  
 
4.3. Widerrechtlich im Sinn von Art. 3 Abs. 1 VG ist die Schadenszufügung dann, wenn der Staat durch seine Beamten oder Behördenmitglieder gegen Gebote oder Verbote der Rechtsordnung verstösst, die dem Schutz des verletzten Rechtsguts dienen (BGE 139 IV 137 E. 4.2; Urteil 2E_3/2020, 2E_4/2020 vom 11. November 2021 E. 7.1). Nach konstanter Rechtsprechung ist bei Verletzung absolut geschützter Rechtsgüter die Widerrechtlichkeit gegeben, ohne dass hierzu die Verletzung einer spezifischen Verhaltensnorm erforderlich wäre (sog. "Erfolgsunrecht"). Eine reine Vermögensschädigung ist hingegen nur dann widerrechtlich, wenn eine Norm das betreffende Verhalten verbietet und damit den Schutz des Vermögens des Geschädigten bezweckt (sog. "Verhaltensunrecht"; vgl. BGE 144 I 318 E. 5.5; 139 IV 137 E. 4.2; Urteile 2E_3/2021 vom 14. März 2022 E. 4.2; 2E_3/2020, 2E_4/2020 vom 11. November 2021 E. 7.1).  
 
4.4. Wenn die geltend gemachte widerrechtliche Handlung in einem Rechtsakt (z.B. einer Verfügung oder einem Urteil) besteht, kann nur die Verletzung einer wesentlichen Amtspflicht die Haftung auslösen (BGE 139 IV 137 E. 4.2; Urteile 2E_3/2021 vom 14. März 2022 E. 6.2; 2E_3/2020, 2E_4/2020 vom 11. November 2021 E. 8.2; 2E_4/2019 vom 28. Oktober 2021 E. 4.2.2; je mit Hinweisen). Die Tatsache, dass eine höhere Instanz einen Entscheid aufhebt, begründet noch keine haftpflichtrechtliche Widerrechtlichkeit (BGE 123 II 577 E. 4d/dd; 120 Ib 248 E. 2b; 118 Ib 163 E. 2; vgl. auch Urteil 2C_227/2020 vom 21. August 2020 E. 10.1). Auch eine Ermessensüberschreitung genügt dafür noch nicht (Urteil 2C_227/2020 vom 21. August 2020 E. 10.1 mit Hinweisen). Eine wesentliche Amtspflichtverletzung liegt erst vor bei einer unentschuldbaren Fehlleistung, die einem pflichtbewussten Behördenmitglied oder Beamten nicht unterlaufen wäre (BGE 132 II 449 E. 3.3; Urteil 2E_3/2020, 2E_4/2020 vom 11. November 2021 E. 8.2; je mit Hinweisen).  
 
4.5. Der Staatshaftungstatbestand von Art. 3 Abs. 1 VG steht unter dem Vorbehalt von Art. 12 VG. Gemäss dieser Bestimmung kann die Rechtmässigkeit formell rechtskräftiger Verfügungen, Entscheide und Urteile nicht in einem Verantwortlichkeitsverfahren überprüft werden. Die Schädigung durch eine rechtskräftige Verfügung oder einen rechtskräftigen Entscheid löst daher im Prinzip keine Schadenersatzpflicht des Staates aus; für solche Verfügungen und Entscheide kommt vielmehr die unwiderlegbare Vermutung (Fiktion) der Rechtmässigkeit zum Tragen (Urteile 2C_176/2022 vom 7. Februar 2024 [zur Publikation vorgesehen] E. 4.3; 2E_4/2019 vom 28. Oktober 2021 E. 4.3.1; je mit Hinweisen; vgl. auch Urteil 2C_227/2020 vom 21. August 2020 E. 8.1). Dahinter steht der Grundsatz der "Einmaligkeit des Rechtsschutzes". Der im Verwaltungsverfahren (Primärrechtsschutz) unterlegenen Partei ist es im Rahmen eines Staatshaftungsverfahrens (Sekundärrechtsschutz) verwehrt, auf die rechtskräftige Verfügung zurückzukommen (BGE 129 I 139 E. 3.1; 126 I 144 E. 2a; Urteile 2C_176/2022 vom 7. Februar 2024 [zur Publikation vorgesehen] E. 4.3; 2E_4/2019 vom 28. Oktober 2021 E. 4.3.2). Dieser Grundsatz ist nur anwendbar, wenn die betroffene Person im Verfahren des Primärrechtsschutzes die Möglichkeit hatte, den fraglichen Entscheid wirksam anzufechten, hiervon jedoch keinen oder erfolglos Gebrauch gemacht hat. War die Anfechtbarkeit aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich oder gewährleistete das offenstehende Rechtsmittel keinen genügenden Rechtsschutz, bleibt die Überprüfung im Staatshaftungsverfahren möglich (BGE 129 I 139 E. 3.1; Urteile 2C_176/2022 vom 7. Februar 2024 [zur Publikation vorgesehen] E. 4.3; 2E_4/2019 vom 28. Oktober 2021 E. 4.3.3; 2C_227/2020 vom 21. August 2020 E. 8.2; je mit Hinweisen).  
 
5.  
Vor Bundesgericht ist umstritten, ob die Verfügung der IV-Stelle Bern vom 28. August 2014 im Staatshaftungsprozess überprüft werden kann und bejahendenfalls, ob sie widerrechtlich im Sinn der Rechtsprechung ist. Das kantonale Gericht stützte sich in einer Hauptbegründung auf den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsschutzes (Art. 12 VG) und verneinte im Sinn einer Eventualbegründung das Vorliegen der Voraussetzung einer wesentlichen Amtspflichtverletzung. Dem Beschwerdeführer sei es möglich gewesen, die Verfügung der IV-Stelle Bern vom 28. August 2014 anzufechten. Daher greife das Überprüfungsverbot von Art. 12 VG. Materiell leide die Anordnung der Observation bzw. die darauf beruhende Verfügung nicht an einem die Widerrechtlichkeit auslösenden Mangel. Selbst wenn die Observation widerrechtlich gewesen wäre, bleibe deren Verwertung im Rahmen der Beweiswürdigung nach einer Interessenabwägung zulässig. Offen liess die Vorinstanz die Frage, ob allfällige Schadenersatzansprüche inzwischen verjährt seien. 
 
6.  
Der Beschwerdeführer wendet sich zunächst gegen die Hauptbegründung der Vorinstanz. Er wirft dem kantonalen Gericht nicht vor, Art. 12 VG falsch angewendet zu haben. Er macht vielmehr geltend, der Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsschutzes verstosse gegen Art. 6 EMRK, Art. 29a BV und Art. 14 UNO-Pakt II. Die Verfügung vom 28. August 2014 sei nie im Licht der nachträglichen Einstellung des Strafverfahrens und der danach eingetretenen Rechtsentwicklung überprüft worden, was mit den genannten Garantien nicht vereinbar sei. 
 
6.1. Die Rechtsweggarantie (Art. 29a BV) vermittelt einen individualrechtlichen Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz bei Rechtsstreitigkeiten (BGE 149 I 146 E. 3.3.1; 148 I 104 E. 4.1; zum Begriff der Rechtsstreitigkeit BGE 149 I 146 E. 3.3.1; 144 I 181 E. 5.3.2.1; 143 I 336 E. 4.3 mit Hinweisen).  
 
6.1.1. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an den gerichtlichen Rechtsschutz sind eingehalten, wenn einmal im gesamten Instanzenzug eine gerichtliche Instanz mit voller Kognition in Sachverhalts- und Rechtsfragen urteilt (BGE 147 I 333 E. 1.6.1; 141 I 172 E. 4.4.1). Die Rechtsweggarantie verlangt demgegenüber weder vom Bund noch von den Kantonen einen bestimmten Instanzenzug (BGE 143 III 193 E. 5.4; vgl. auch JACQUES DUBEY, Droits fondamentaux, Vol. II, 2018, N. 4143; ANDREAS KLEY, in: St. Galler Kommentar zur schweizerischen Bundesverfassung, 4. Aufl. 2023, N. 6 zu Art. 29a BV; MATTHIAS KRADOLFER, in: Onlinekommentar Bundesverfassung, N. 36 zu Art. 29a; BERNHARD WALDMANN, in: Basler Kommentar Bundesverfassung, 2015, N. 13 zu Art. 29a).  
 
6.1.2. Art. 29a BV verschafft keinen Anspruch auf erneute Überprüfung bereits gefällter Bundesgerichtsurteile. Diese erwachsen am Tag ihrer Ausfällung in Rechtskraft (Art. 61 BGG). Sie können einzig nach Massgabe der gesetzlichen Bestimmungen vom Bundesgericht selbst aufgehoben oder geändert werden (Art. 2 Abs. 2 BGG). Dieser die institutionelle Unabhängigkeit des Bundesgerichts konkretisierende Grundsatz wird durch die Bestimmungen über die Revision bundesgerichtlicher Urteile umgesetzt. Art. 121 ff. BGG umschreiben abschliessend die möglichen Gründe einer Revision höchstgerichtlicher Urteile (Urteile 5F_24/2023 vom 1. November 2023 E. 1; 5F_19/2023 vom 17. Juli 2023 E. 1; je mit Hinweisen).  
 
6.1.3. Die Rechtsweggarantie von Art. 29a BV wäre vorliegend verletzt, wenn dem Beschwerdeführer gegen die Verfügung vom 28. August 2014 kein den dargelegten Anforderungen entsprechender Rechtsschutz offenstand. Dies ist jedoch aus folgenden Gründen nicht der Fall: Der Beschwerdeführer konnte die Verfügung vom 28. August 2014 innerhalb des regulären Instanzenzugs anfechten. Die erste gerichtliche Instanz war das kantonale Gericht, das den Sachverhalt unter Mitwirkung der Parteien abzuklären und das Recht von Amtes wegen anzuwenden hatte (Art. 61 lit. c und d ATSG in der Fassung vom 1. Januar 2012). Das kantonale Gericht verfügte folglich über eine den Anforderungen von Art. 29a BV entsprechende Kognition. Das Bundesgericht bestätigte letztinstanzlich die bundesrechtskonforme Beweiswürdigung und Rechtsanwendung durch das kantonale Gericht. In diesem Verfahren hatte der Beschwerdeführer die Observation nicht beanstandet (Urteil 9C_415/2015 vom 23. September 2015 E. 3). Die Vorgaben der Rechtsweggarantie sind somit in Bezug auf die Verfügung vom 28. August 2014 eingehalten. Die nach dem letztinstanzlichen Urteil eingetretenen Entwicklungen waren Gegenstand des Revisionsverfahrens, das mit Urteil vom 10. Dezember 2020 seinen Abschluss fand. Der Beschwerdeführer verkennt mit seinen Vorbringen die Bindungswirkungen des bundesgerichtlichen Urteils und den abschliessenden Charakter der Revisionsgründe nach BGG. Nicht jede nachträgliche Entwicklung muss von Gesetzes oder Verfassungs wegen zur Neubeurteilung bereits rechtskräftig entschiedener Streitsachen führen. Im Übrigen blendet der Beschwerdeführer aus, dass eine Verschlechterung des Gesundheitszustands, wie von ihm sinngemäss vorgebracht, allenfalls zur Neuanmeldung in der Invalidenversicherung berechtigt (Art. 28a Abs. 1 IVG i.V.m. Art. 17 Abs. 1 ATSG sowie Art. 88a Abs. 2 der Verordnung vom 17. Januar 1961 über die Invalidenversicherung [IVV; SR 831.201]). Im Verfahren der Neuanmeldung kann eine neue Sachlage überprüft und im Streitfall dem gerichtlichen Rechtsschutz zugeführt werden. Anders als der Beschwerdeführer behauptet, stand und steht ihm daher ein verfassungskonformer Rechtsschutz offen. Die Rechtsweggarantie ist demnach nicht verletzt.  
 
6.2. Begehren um Schadenersatz und Genugtuung im Staatshaftungsverfahren stellen zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen im Sinn von Art. 6 Ziff. 1 EMRK dar (BGE 136 II 187 E. 8.2.1; 134 I 331 E. 2.1; Urteile 2E_4/2019 vom 28. Oktober 2021 E. 1.6; 2E_1/2018 vom 25. Oktober 2019 E. 2.2.1; Urteile des EGMR Herbst gegen Deutschland vom 11. Januar 2007 [20027/02] § 55; Georgiadis gegen Griechenland vom 29. Mai 1997 [21522/93] § 35).  
 
6.2.1. Art. 6 Ziff. 1 EMRK eröffnet in seinem Anwendungsbereich die Möglichkeit, eine Streitigkeit zumindest einmal durch ein unabhängiges Gericht überprüfen zu lassen (Urteile des EGMR Golder gegen Vereinigtes Königreich vom 21. Februar 1975 [4451/70] § 30 ff.; Grz eda gegen Polen vom 15. März 2022 [435752/18] § 342 f.). Dieser gerichtliche Rechtsschutz muss praktisch wirksam sein und darf nicht einzig in der Theorie bestehen (Urteile des EGMR Bellet gegen Frankreich vom 4. Dezember 1995 [23805/94] § 36; Zubac gegen Kroatien vom 4. April 2018 [40160/12] § 76 ff.). Art. 6 Ziff. 1 EMRK verpflichtet die Konventionsstaaten jedoch nicht zur Einrichtung eines bestimmten Instanzenzugs bei Streitigkeiten über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen (vgl. Urteile des EGMR Zubac gegen Kroatien vom 4. April 2018 [40160/12] § 80; Andrejeva gegen Litauen vom 18. Februar 2009 [55707/00] § 97; anders in strafrechtlichen Angelegenheiten, dazu Urteil 6B_1325/2020 vom 18. Mai 2022 E. 2.4). Mit anderen Worten ist in Staatshaftungsverfahren die gerichtliche Nachkontrolle einer gerichtlichen Entscheidung konventionsrechtlich nicht geboten (vgl. auch RETO FELLER, Das Prinzip der Einmaligkeit des Rechtsschutzes im Staatshaftungsrecht, 2007, S. 132).  
 
6.2.2. Wie dargelegt, stand dem Beschwerdeführer gegen die Verfügung vom 28. August 2014 der nationale Instanzenzug offen (E. 6.1.3). Der Beschwerdeführer bestreitet zu Recht nicht, dass die Überprüfung durch das kantonale Gericht wirksamen Rechtsschutz gewährleistete. Weil der Rechtsschutz demnach einmal in EMRK-konformer Weise gewährt wurde, ist es mit Art. 6 Ziff. 1 EMRK vereinbar, im Staatshaftungsrecht nicht erneut auf das bereits rechtskräftig Entschiedene zurückzukommen (vgl. E. 4.5 hiervor; FELLER, a.a.O., S. 125 und 132). Der Beschwerdeführer beschränkt sich im Wesentlichen darauf, eine abweichende Rechtslage zu postulieren, ohne sich näher mit der Rechtsprechung des EGMR auseinanderzusetzen. Soweit er unter Berufung auf die Engel-Kriterien (vgl. BGE 147 I 57 E. 5.2 mit Hinweisen) geltend macht, es liege eine strafrechtliche Anklage vor, sind seine Vorbringen nicht stichhaltig. Die Tatsache, dass sein Verhalten im Verwaltungsverfahren auch Gegenstand eines strafrechtlichen Verfahrens war, ändert nichts am zivilrechtlichen Charakter des Staatshaftungsverfahrens.  
 
6.2.3. Weiter stützt sich der Beschwerdeführer auf das EGMR-Urteil Vukota-Bojic gegen Schweiz vom 18. Oktober 2016 (61838/10). Der EGMR kam darin zusammengefasst zum Ergebnis, die Anordnung einer Observation im Sozialversicherungsverfahren beruhe auf keiner hinreichend klaren Rechtsgrundlage und verletze daher Art. 8 EMRK (a.a.O., §§ 69-78). Nach Meinung des Beschwerdeführers muss dieser Entscheid vor dem Hintergrund von Art. 6 Ziff. 1 EMRK zu einer erneuten gerichtlichen Überprüfung der mit Urteil des Bundesgerichts vom 23. September 2015 letztinstanzlich entschiedenen Streitsache führen. Diese Argumentation ist jedoch nicht stichhaltig.  
Urteile des EGMR entfalten eine unmittelbare Bindungswirkung im Prinzip ausschliesslich inter partes (vgl. Urteil des EGMR Al-Dulimi und Montana Management Inc. gegen Schweiz vom 21. Juni 2016 [5809/08] § 60; GRABENWARTER / PABEL, Europäische Menschenrechtskonvention, 7. Aufl. 2021, N. 2 zu § 16), wobei es dem verurteilten Staat obliegt, die erforderlichen Schritte zur Herstellung des rechtmässigen Zustands zu treffen (Art. 46 Ziff. 1 EMRK; Urteil des EGMR Ilgar Mammadov gegen Aserbaidschan vom 29. Mai 2019 [15172/13] § 148 ff.). Der EGMR spricht in diesem Zusammenhang auch von individuellen Massnahmen zur Durchsetzung seiner Urteile ("individual measures"; Urteile Verein Tierfabriken gegen Schweiz Nr. 2vom 28. Juni 2001 [24699/94] § 85; Emre gegen Schweiz vom 11. Oktober 2011 [5056/10] § 69). Gegenüber nicht am Verfahren beteiligten Personen kommt seinen Entscheidungen demgegenüber keine Bindungs-, sondern eine Orientierungswirkung zu (vgl. GRABENWARTER / PABEL, a.a.O., N. 8 f. zu § 16). Die Konventionsstaaten haben die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu verfolgen und neue Urteile im Rahmen der Orientierungswirkung in ihrer Rechtsordnung umzusetzen, um so die vollständige Verwirklichung der in der Konvention enthaltenen Garantien sicherzustellen (Art. 1 i.V.m. Art. 46 Ziff. 1 EMRK; Urteile des EGMR Maestri gegen Italien vom 17. Februar 2004 [39748/98] § 47; Scordino gegen Italien vom 29. März 2006 [36813/97] § 234). Wo ein systemisches Problem vorliegt, gibt der Gerichtshof fallbezogen generelle Empfehlungen ab oder trifft Anordnungen, um die Orientierungswirkung seiner Urteile zu verstärken ("general measures"; Urteile Maestri, § 47; Scordino, § 229 ff.). Er stützt sich dabei auf die Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates 2004/6 vom 12. Mai 2004 (Urteil Scordino, § 232 f.).  
Weder diese Empfehlung noch die Konvention verpflichten einen Staat jedoch, ein gegen ihn ergangenes Urteil rückwirkend auf bereits rechtskräftig erledigte Streitsachen anzuwenden. Der Beschwerdeführer kann daher aus dem Urteil Vukota-Bojic, das nach dem Urteil des Bundesgerichts vom 23. September 2015 erging, nichts für sich ableiten. Hinzu kommt, dass der EGMR im Urteil Vukota-Bojic keine generellen Empfehlungen für die Umsetzung auf nationaler Ebene aussprach (vgl. Urteil Vukota-Bojic, §§ 101-104) und das Ministerkomitee des Europarates mit Resolution 2019 (233) vom 25. September 2019 zum Ergebnis kam, die Schweiz habe das Verdikt innerstaatlich umgesetzt (vgl. dazu Art. 43a f. ATSG, in Kraft seit 1. Oktober 2019 [AS 2019 2829]).  
 
6.2.4. Inwiefern Art. 14 UNO-Pakt II im vorliegenden Zusammenhang weitergehenden Schutz als Art. 6 Ziff. 1 EMRK vermitteln soll, zeigt der Beschwerdeführer nicht auf und ist auch nicht ersichtlich (vgl. BGE 137 I 128 E. 4.4.1; Urteil 1C_231/2021 vom 18. Mai 2022 E. 3 f.). Es erübrigt sich daher, auf diese Rüge einzugehen (vgl. E. 2.2 hiervor).  
 
6.3. Demnach verletzte die Vorinstanz weder die Bundesverfassung noch internationales Recht, als sie auf das Staatshaftungsbegehren des Beschwerdeführers gestützt auf Art. 12 VG nicht näher einging.  
 
7.  
Erweist sich die Hauptbegründung der Vorinstanz, wonach vorliegend der in Art. 12 VG verankerte Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsschutzes zum Tragen kommt, als bundesrechtskonform, kann offenbleiben, wie die - seitens des Beschwerdeführers kritisierte - Eventualbegründung (betreffend die Haftungsvoraussetzung der Widerrechtlichkeit bzw. Verletzung einer wesentlichen Amtspflicht) zu beurteilen ist. Die Beschwerde ist abzuweisen. 
 
8.  
Der unterliegende Beschwerdeführer trägt die Kosten des Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (mit Verbeiständung) ist zu entsprechen, da die Voraussetzungen (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG) erfüllt sind. Insbesondere kann die Beschwerde angesichts der Rechtsprechung des EGMR betreffend die verdeckte Observation von Bezügern von Leistungen der Sozialversicherung (vgl. auch Urteil Kazimir gegen Schweiz vom 12. Dezember 2023 [71522/17, 47646/19, 61114/19]) nicht als geradezu aussichtslos bezeichnet werden. Der geltend gemachte anwaltliche Aufwand (55,34 Stunden zu je Fr. 220.--; Fr. 12'174.80 zuzüglich Mehrwertsteuer und Auslagen) erscheint jedoch als deutlich zu hoch, zumal sich letztinstanzlich die gleichen Rechtsfragen stellten wie vor dem Verwaltungsgericht. Der unentgeltliche Rechtsanwalt ist daher mit angemessenen Fr. 2'000.-- zu entschädigen. Eine Parteientschädigung ist nicht geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG).  
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und -verbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren wird gutgeheissen. 
 
2.1. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.  
 
2.2. Dem Beschwerdeführer wird Rechtsanwalt Philip Stolkin, als unentgeltlicher Rechtsbeistand beigegeben und diesem aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'000.-- ausgerichtet.  
 
3.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 5. Juni 2024 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin 
 
Der Gerichtsschreiber: M. Kaufmann