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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_495/2023  
 
 
Urteil vom 24. Juni 2024  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, 
Bundesrichterin Scherrer Reber, 
Gerichtsschreiber Nabold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Katja Ammann, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, 
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 12. Mai 2023 (IV.2023.00028). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Der 1965 geborene A.________ meldete sich am 31. Mai 2014 unter Hinweis auf einem am 4. September 2013 erlittenen Unfall bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich tätige medizinische und berufliche Abklärungen, insbesondere holte sie bei der MEDAS Interlaken Unterseen GmbH eine polydisziplinäre Expertise ein (Gutachten vom 18. Mai 2020). In der Folge verneinte sie mit Verfügung vom 19. Oktober 2020 bei einem Invaliditätsgrad von 28 % einen Rentenanspruch des Versicherten. Dessen hiergegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 24. März 2021 teilweise gut und wies die Sache zwecks vorgängiger Prüfung beruflicher Massnahmen an die IV-Stelle zurück. 
In der Folge dieses Urteils tätigte die IV-Stelle erneute Abklärungen und holte unter anderem beim Ärztlichen Begutachtungsinstitut (ABI) eine neue polydisziplinäre Expertise ein (Gutachten vom 6. Juni 2022). Daraufhin sprach die IV-Stelle dem Versicherten mit Verfügung vom 21. Dezember 2022 ab 1. Februar 2021 bei einem Invaliditätsgrad von 100 % eine ganze Rente der Invalidenversicherung zu. Für die Zeit davor verneinte sie gleichzeitig bei einem Invaliditätsgrad von 28 % einen Rentenanspruch. 
 
B.  
Die von A.________ hiergegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 12. Mai 2023 teilweise gut und sprach dem Versicherten auch für die Zeiten vom 1. Mai bis 30. November 2015 und vom 1. März bis 30. November 2017 eine ganze Rente der Invalidenversicherung zu. Im Übrigen wies das kantonale Gericht die Beschwerde ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, ihm sei unter Anpassung des kantonalen Gerichtsentscheides auch für die Zeiten vom 1. September 2014 bis 30. April 2015, vom 1. Dezember 2015 bis 28. Februar 2017 und vom 1. Dezember 2017 bis 31. Januar 2021 - eventuell nur für die Zeiten vom 1. Dezember 2015 bis 28. Februar 2017 und vom 1. Dezember 2017 bis 31. Januar 2021 - eine ganze Rente der Invalidenversicherung zuzusprechen, subeventuell sei die Sache zu erneuter Verfügung an die Beschwerdegegnerin oder die Vorinstanz zurückzuweisen. Gleichzeitig stellt A.________ ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. 
In seiner Eingabe vom 16. Oktober 2023 hält A.________ an seinen Begehren fest. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
1.2. Als Rechtsfrage gilt, ob die rechtserheblichen Tatsachen vollständig festgestellt und ob der Untersuchungsgrundsatz bzw. die Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG beachtet wurden. Gleiches gilt für die Frage, ob den medizinischen Gutachten und Arztberichten im Lichte der praxisgemässen Anforderungen Beweiswert zukommt (BGE 134 V 231 E. 5.1). Bei den aufgrund dieser Berichte getroffenen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit und bei der konkreten Beweiswürdigung geht es um Sachverhaltsfragen (Urteil 8C_326/2022 vom 13. Oktober 2022, E. 2, nicht publiziert in: BGE 148 V 397).  
 
2.  
Es steht fest und ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer vom 1. Mai bis 30. November 2015, vom 1. März bis 30. November 2017 und ab dem 1. Februar 2021 Anspruch auf eine ganze Rente der Invalidenversicherung hat. Streitig und zu prüfen ist demgegenüber, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzte, als es einen Anspruch des Beschwerdeführers auf eine Rente der Invalidenversicherung für die Zeiten vom 1. September 2014 bis 30. April 2015, vom 1. Dezember 2015 bis 28. Februar 2017 und vom 1. Dezember 2017 bis 31. Januar 2021 verneinte. 
 
3.  
 
3.1. Am 1. Januar 2022 trat das revidierte Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) in Kraft (Weiterentwicklung der IV [WEIV]; Änderung vom 19. Juni 2020, AS 2021 705, BBl 2017 2535). Entsprechend den allgemeinen intertemporalrechtlichen Grundsätzen (vgl. BGE 144 V 210 E. 4.3.1) ist nach der bis zum 31. Dezember 2021 geltenden Rechtslage zu beurteilen, ob bis zu diesem Zeitpunkt ein Rentenanspruch entstanden ist.  
Zwar erging die dem hier angefochtenen Entscheid zugrunde liegende Verfügung erst nach dem 1. Januar 2022. Vorliegend ist jedoch einzig ein Rentenanspruch streitig für Zeiten, welche vor dem 31. Dezember 2021 liegen. Damit beurteilt sich die vorliegende Streitigkeit allein nach der bis zum 31. Dezember 2021 geltenden Rechtslage. 
 
3.2. Im angefochtenen Entscheid wurden die rechtlichen Grundlagen zum Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung (insb. Art. 28 und 28a IVG, Art. 8 ATSG) korrekt wiedergegeben. Darauf wird verwiesen.  
 
4.  
 
4.1. Aufgrund des Gutachtens des ABI vom 6. Juni 2022 steht fest und ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer seit spätestens Februar 2021 aufgrund einer schwergradigen depressiven Symptomatik für sämtliche Tätigkeiten vollständig arbeitsunfähig ist. Weiter anerkannte das kantonale Gericht eine vollständige Erwerbsunfähigkeit in den Rekonvaleszenzzeiten nach den beiden Schulteroperationen in den Jahren 2015 und 2017. Während der Beschwerdeführer geltend macht, seit dem Unfall vom 4. September 2013 durchgehend vollständig erwerbsunfähig zu sein, verneinte das kantonale Gericht für die übrigen Zeiten nach Ablauf des Wartejahres eine länger dauernde, rentenbegründende gesundheitsbedingte Erwerbseinbusse.  
 
4.2. Auf im Verfahren nach Art. 44 ATSG eingeholte Gutachten ist rechtsprechungsgemäss abzustellen, wenn nicht konkrete Indizien gegen die Zuverlässigkeit der Expertise sprechen (BGE 135 V 465 E. 4.4). Solche vermag der Beschwerdeführer hinsichtlich des somatischen Teils des Gutachtens des ABI nicht darzutun. Wie das kantonale Gericht zutreffend erwogen hat, setzte sich der orthopädische Teilgutachter des ABI mit den aktenkundigen Berichten der behandelnden Ärzte differenziert auseinander und begründete nachvollziehbar, wo Übereinstimmungen bestehen und welche Differenzen sich - insbesondere zur Arbeitsfähigkeitsbeurteilung - ergeben. Es verstösst demgemäss nicht gegen Bundesrecht, dass die Vorinstanz gestützt auf dieses Gutachten davon ausging, es habe - abgesehen von den anerkannten Rekonvaleszenzzeiten nach den beiden Schulteroperationen in den Jahren 2015 und 2017 - aus somatischen Gründen keine länger andauernde Arbeitsunfähigkeit bestanden. Soweit der Beschwerdeführer eine entsprechende Rekonvaleszenzzeit auch nach der Operation vom 15. Mai 2014 geltend macht, ist gestützt auf den Sprechstundenbericht des Spitals Uster vom 13. August 2014 davon auszugehen, dass die Rekonvaleszenzphase nach der Operation im Jahre 2014 spätestens auf das Datum dieses Berichts hin - und damit noch vor Ablauf des Wartejahres - abgeschlossen war.  
 
4.3. Hinsichtlich des geltend gemachten erheblichen psychischen Gesundheitsschadens in der Zeit vor Februar 2021 trifft es zu, dass sich das psychiatrische Teilgutachten des ABI hierzu nicht äussert, einen solchen mithin nicht ausschliesst. Das kantonale Gericht hat indessen gestützt auf das Gutachten der Medas Interlaken vom 18. Mai 2020 und des im Herbst 2020 durchgeführten Arbeitsversuchs erwogen, vor Februar 2021 habe aus psychiatrischer Sicht eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit von maximal 25 % (welcher Wert unbestrittenermassen nicht zu einer rentenbegründenden Erwerbseinbusse führt) bestanden. Frühere Atteste einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit seien auch vom behandelnden Psychiater nicht aktenkundig. Auch diese Feststellungen erweisen sich nicht als offensichtlich unrichtig oder sonstwie bundesrechtswidrig: Zwar trifft es zu, dass das kantonale Gericht im Rahmen eines obiter dictums des Urteils vom 24. März 2021 das Gutachten der Medas Interlaken vom 18. Mai 2020 als ungenügende Grundlage für einen abschliessenden Entscheid bezeichnete. Es begründete dies indessen damit, dass sich dieses Gutachten zu wenig mit den Stellungnahmen der behandelnden Ärzten somatischer Ausrichtung auseinandersetzte. Inwiefern dadurch der psychiatrische Teil des Gutachtens entwertet würde, ist nicht nachvollziehbar, zumal weder geltend gemacht noch ersichtlich ist, dass eine psychiatrische Fachperson dem Beschwerdeführer für die Zeit vor Februar 2021 eine durch einen psychischen Gesundheitsschaden begründete, länger andauernde höhere Arbeitsunfähigkeit als eine solche von 25 % attestiert hätte.  
 
4.4. Verstösst die vorinstanzliche Beweiswürdigung somit nicht gegen Bundesrecht, so ist die Beschwerde abzuweisen.  
 
5.  
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist stattzugeben, da die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu in der Lage ist. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und Rechtsanwältin Katja Ammann wird als unentgeltliche Anwältin bestellt. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen. 
 
4.  
Der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 24. Juni 2024 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Der Gerichtsschreiber: Nabold