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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_268/2022  
 
 
Urteil vom 2. April 2024  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Haag, 
nebenamtlicher Bundesrichter Fellmann, 
Gerichtsschreiberin Dambeck. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.A.________ und B.A._ _______, 
Beschwerdeführende, 
beide vertreten durch Rechtsanwalt Res Nyffenegger, 
 
gegen  
 
B.________, 
Beschwerdegegner, 
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Burkhard, 
 
Einwohnergemeinde Tschugg, 
Gemeinderat, Oberdorf 18, 3233 Tschugg, 
 
Bau- und Verkehrsdirektion des Kantons Bern, Rechtsamt, Reiterstrasse 11, 3013 Bern. 
 
Gegenstand 
Baubewilligung; Erweiterung eines Einfamilienhauses, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, vom 28. März 2022 (100.2021.123U). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
B.________ beabsichtigt, das Einfamilienhaus auf seiner Parzelle in Tschugg, Gbbl. Nr. 105, zu einem Zweifamilienhaus zu erweitern. Das Projekt sieht einen eingeschossigen Erweiterungsbau vor, dessen Flachdach dem bestehenden Haus als Terrasse dienen soll. Das Baugrundstück liegt in der Kernzone und im Ortsbilderhaltungsgebiet. Gegen das Bauvorhaben erhoben A.A.________ und B.A._ _______ Einsprache. Die Einwohnergemeinde Tschugg bewilligte das Bauvorhaben am 2. Dezember 2020 und wies die Einsprache ab. 
Die von A.A.________ und B.A._ _______ erhobenen Beschwerden wiesen die Bau- und Verkehrsdirektion des Kantons Bern mit Entscheid vom 23. März 2021 und das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Urteil vom 28. März 2022 ab. 
 
B.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 13. Mai 2022 gelangen A.A.________ und B.A._ _______ an das Bundesgericht und beantragen, das verwaltungsgerichtliche Urteil vom 28. März 2022 sei aufzuheben und die Sache sei zu neuem Entscheid an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen, eventualiter sei das Baugesuch abzuweisen. 
 
C.  
Der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts erkannte der Beschwerde mit Verfügung vom 7. Juni 2022 antragsgemäss die aufschiebende Wirkung zu. 
 
D.  
Der Beschwerdegegner beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen. Ebenso stellen die Vorinstanz unter Hinweis auf das angefochtene Urteil und die Bau- und Verkehrsdirektion unter Verweisung auf den angefochtenen und den eigenen Entscheid Antrag auf Abweisung der Beschwerde. Die Einwohnergemeinde Tschugg beantragt ebenfalls, die Beschwerde sei abzuweisen. Die Beschwerdeführenden wurden darüber in Kenntnis gesetzt.  
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid betreffend eine Baubewilligung. Dagegen steht grundsätzlich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht offen (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 sowie Art. 90 BGG); ein Ausnahmegrund gemäss Art. 83 ff. BGG ist nicht gegeben. Die Beschwerdeführenden haben am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und sind als Eigentümer der zum Baugrundstück benachbarten Parzelle zur Beschwerde berechtigt (Art. 89 Abs. 1 BGG). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten. 
 
2.  
 
2.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), prüft die bei ihm angefochtenen Entscheide aber grundsätzlich nur auf Rechtsverletzungen hin, welche die beschwerdeführende Person vorbringt und begründet (vgl. Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG). Erhöhte Anforderungen an die Begründung gelten, soweit die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht gerügt wird (Art. 106 Abs. 2 BGG). Die Anwendung von kantonalem Recht überprüft das Bundesgericht vorbehältlich Art. 95 lit. c-e BGG im Wesentlichen auf Willkür und bloss insoweit, als eine solche Rüge in der Beschwerde präzis vorgebracht und begründet wird (Art. 95 BGG i.V.m. Art. 9 BV und Art. 106 Abs. 2 BGG). Willkür in der Rechtsanwendung liegt vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Das Bundesgericht hebt einen Entscheid auf, wenn nicht bloss die Begründung, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist (vgl. BGE 148 III 95 E. 4.1; 146 II 111 E. 5.1.1; 137 I 1 E. 2.4; je mit Hinweisen).  
 
2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). Eine entsprechende Sachverhaltsrüge ist substanziiert vorzubringen (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 147 I 1 E. 3.5). Das Bundesgericht prüft nur klar und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen; auf rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid geht es nicht ein (BGE 148 I 104 E. 1.5 mit Hinweisen).  
 
3.  
Die Beschwerdeführenden werfen der Vorinstanz eine willkürliche Anwendung der kommunalen Gestaltungsvorschriften vor. Sowohl das Baugrundstück als auch ihr eigenes Grundstück befänden sich im kommunalen Ortsbilderhaltungsgebiet. 
 
3.1. Gemäss Art. 9 des Baugesetzes des Kantons Bern vom 9. Juni 1985 (BauG/BE; BSG 721.0) dürfen Bauten, Anlagen, Reklamen, Anschriften und Bemalungen Landschaften, Orts- und Strassenbilder nicht beeinträchtigen (Abs. 1 Satz 1). Die Gemeinden können nähere Vorschriften erlassen (Abs. 3).  
 
In Art. 511 des Baureglements der Einwohnergemeinde Tschugg vom 26. November 2010 (GBR/Tschugg) ist vorgesehen, dass Bauten und Anlagen so zu gestalten sind, dass zusammen mit ihrer Umgebung eine gute Gesamtwirkung entsteht (Abs. 1). Bei der Beurteilung der guten Gesamtwirkung sind insbesondere die prägenden Elemente und Merkmale des Strassen-, Orts- und Landschaftsbilds; die bestehende und beabsichtigte Gestaltung der benachbarten Bebauung; Standort, Stellung, Form, Proportionen und Dimensionen der Bauten und Anlagen; die Fassaden- und Dachgestaltung sowie die Materialisierung und Farbgebung sowie die Gestaltung der Aussenräume, insbesondere des Vorlands und der Begrenzungen gegen den öffentlichen Raum zu berücksichtigen (Abs. 2). Die Vorschriften über die Ortsbildpflege bleiben vorbehalten (Abs. 3), wobei auf Art. 611 ff. GBR/Tschugg hingewiesen wird. In Art. 611 GBR/Tschugg ist geregelt, dass das Ortsbilderhaltungsgebiet die Erhaltung, Gestaltung und behutsame Erneuerung der für das Ortsbild prägenden Elemente und Merkmale bezweckt. Als Hinweis ist vermerkt, dass das Bauinventar der Gemeinde Tschugg und ein Auszug des Inventars schützenswerter Ortsbilder der Schweiz ISOS wichtige Grundlagen für die Analyse des Ortsbilds seien. 
 
3.2. Die Beschwerdeführenden bemängeln, dass im Bericht des Berner Heimatschutzes vom 18. August 2020 die prägenden Elemente und Merkmale des Strassen-, Orts- und Landschaftsbilds nicht erwähnt sind. Bereits die Vorinstanz hielt im angefochtenen Urteil fest, einzuräumen sei, dass der Bericht des Berner Heimatschutzes eher knapp ausgefallen sei. Insbesondere fänden sich keine Ausführungen zu den hier interessierenden prägenden Elementen und Merkmalen des Strassen-, Orts- und Landschaftsbilds, die ein wesentliches Element seien bei der Beurteilung der guten Gesamtwirkung (Art. 511 Abs. 2 GBR/Tschugg), gerade auch im Ortsbilderhaltungsgebiet (Art. 611 GBR/Tschugg). Wenn sie weiter erwog, dies bedeute nicht, dass der Berner Heimatschutz bei seiner Würdigung entscheidende gestalterische Aspekte zu Unrecht nicht berücksichtigt habe, verstösst dies nicht gegen das Willkürverbot (Art. 9 BV; vgl. oben E. 2.1). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführenden fehlt es noch nicht an einer inhaltlich genügenden Stellungnahme der Fachstelle, nur weil einer der in Art. 511 Abs. 2 GBR/Tschugg nicht abschliessend aufgezählten Aspekte im Bericht nicht ausdrücklich erwähnt ist, auch wenn es sich dabei um ein - gerade auch im Ortsbilderhaltungsgebiet - wesentliches Element bei der Beurteilung der guten Gesamtwirkung handelt. Aus der fehlenden Nennung allein kann vorliegend noch nicht abgeleitet werden, dass dieses Kriterium bei der Beurteilung unberücksichtigt geblieben ist oder dass das Bauvorhaben der guten Gesamtwirkung entgegensteht, zumal der Berner Heimatschutz zusammenfassend festhielt: "Grundsätzlich haben wir aus gestalterischer Sicht keine Einwände gegen das Bauvorhaben." Dass und inwiefern sich das Bauvorhaben in das bestehende Ortsbild nicht gut einordnet, machen die Beschwerdeführenden sodann nicht geltend. Sie beschränken sich in ihren Ausführungen vielmehr auf das formale Fehlen des Kriteriums der prägenden Elemente und Merkmale des Strassen-, Orts- und Landschaftsbilds im Bericht, womit sie keine Willkür darzutun vermögen. Inwiefern die Vorinstanzen den Bericht diesbezüglich in unzulässiger Weise ergänzt haben sollen, erschliesst sich nicht und wird von den Beschwerdeführenden nicht konkret aufgezeigt. Vielmehr ist dem Bericht selber zu entnehmen, dass der neue strassenabgewandte Baukörper als einfaches, selbstständiges Volumen in Erscheinung trete, das von der Strassenseite aus nicht einsehbar und nordseitig hinter Hecken versteckt sei. Dass die Vorinstanz davon ausgegangen ist, aufgrund der fehlenden Sichtbarkeit des projektierten Anbaus dürften die Anforderungen an die Gestaltung reduziert werden, ergibt sich nicht. Stattdessen erachtete die Vorinstanz die Sichtbarkeit zulässigerweise als einen Gesichtspunkt, der im Zusammenhang mit den im Bericht nicht explizit erwähnten prägenden Elementen und Merkmalen des Strassen-, Orts- und Landschaftsbilds ins Gewicht falle.  
 
3.3. Die Vorinstanz erwog weiter, als Ortsbild von regionaler (und nicht nationaler) Bedeutung sei das Dorf nicht im Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS) verzeichnet. Gemäss der seit dem Jahr 1979 nicht mehr aktualisierten ISOS-Dokumentation liege das Baugrundstück nicht in einem Bereich des Ortsbildschutzgebiets, der für das Ortsbild von zentraler Bedeutung sei, sondern in einem Teil von Tschugg, wo in jüngerer Zeit mehrere Einfamilienhäuser gebaut worden seien und keine gewichtigen Schutzinteressen betroffen seien. Unbestrittenermassen sei das Baugrundstück auch nicht Teil einer Baugruppe. Die nähere Umgebung zeichne sich durch eine heterogene Bebauungsstruktur aus. Dies gelte sowohl für die umliegenden Gebäude innerhalb als auch für diejenigen ausserhalb des Ortsbildschutzgebiets, was die Beschwerdeführenden nicht bestreiten. Weiter hielt die Vorinstanz fest, eine Aushöhlung des Schutzes durch den Einbezug von Bauten geringerer Qualität sei daher nicht zu befürchten. Gemessen am Mittelmass der Umgebung erscheine der streitbetroffene Anbau gestalterisch unproblematisch. Dass die Vorinstanz bei dieser Beurteilung auf Bauten ausserhalb des Ortsbildschutzgebiets abgestellt oder einen falschen Massstab angesetzt hat, erschliesst sich entgegen der Auffassung der Beschwerdeführenden nicht. Zum einen führen diese selber aus, der Vorinstanz sei durchaus bekannt gewesen, dass sich nicht alle Bauten in der näheren Umgebung im Ortsbildschutzgebiet befänden. Zum anderen legen sie nicht dar, inwiefern das Bauvorhaben den erhöhten Anforderungen im Ortsbilderhaltungsgebiet nicht genügen soll. Eine willkürliche Anwendung kommunalen Rechts durch die Vorinstanz vermögen die Beschwerdeführenden damit nicht darzutun.  
 
 
3.4. Was die geplante Stützmauer betrifft, bestätigte die Vorinstanz die Einschätzung der Bau- und Verkehrsdirektion, wonach die Mauer zum Abschluss der Terrasse des Erweiterungsbaus unauffällig wirken werde. Sie füge sich gut in die Umgebung ein. Mit ihrem Vorbringen, im Bericht des Berner Heimatschutzes fänden sich keine Ausführungen zur Umgebungsgestaltung, weshalb die Rechtsmittelbehörden die Eingliederung der Stützmauer eigenständig beurteilt hätten, vermögen die Beschwerdeführenden nicht darzulegen, dass die Vorinstanz in Willkür verfallen ist. Dies gilt umso mehr, als die Beschwerdeführenden auch in diesem Zusammenhang nicht aufzeigen, inwiefern die Stützmauer einer guten Gesamtwirkung entgegensteht. Abgesehen davon hielt bereits die Einwohnergemeinde in ihrem Entscheid fest, dass der Umgebungsgestaltung genügend Rechnung getragen werde; die projektierten Mauern änderten den Verlauf des bestehenden Terrains nur geringfügig und passten sich dem Erweiterungsbau an.  
 
3.5. Wenn die Vorinstanz zum Schluss kam, das Bauvorhaben ordne sich gut in das bestehende Ortsbild ein und sei namentlich auch mit den kommunalen Bestimmungen zum Ortsbilderhaltungsgebiet vereinbar, hält dies somit vor dem Willkürverbot stand.  
 
4.  
Die Beschwerde ist demnach abzuweisen. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten den Beschwerdeführenden unter Solidarhaft aufzuerlegen (Art. 66 BGG). Die Beschwerdeführenden haben dem anwaltlich vertretenen Beschwerdegegner unter solidarischer Haftung eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 BGG).  
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden den Beschwerdeführenden auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdeführenden haben den Beschwerdegegner mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 2. April 2024 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Die Gerichtsschreiberin: Dambeck