Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_805/2023, 7B_806/2023  
 
 
Urteil vom 28. Juni 2024  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichter Kölz, Hofmann, 
Gerichtsschreiber Stadler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Stefano Rossi, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft See/Oberland, 
Büro B-2, Postfach, 8610 Uster, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Entsiegelung, 
 
Beschwerden gegen die Verfügungen des Bezirksgerichts Pfäffikon, Zwangsmassnahmengericht, Einzelrichter, vom 12. September 2023. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft See/Oberland verdächtigt A.________, zusammen mit B.________ sowie anderen Drittpersonen (bandenmässig) im Raum Zürich diverse Marihuana-Indoor-Anlagen zu betreiben und alsdann Cannabis und weitere Betäubungsmittel unter Nutzung von Messenger-Diensten per Kurier im grösseren Stil zu veräussern. 
 
B.  
 
B.a. Mit Verfügungen vom 31. Mai 2023 edierte die Staatsanwaltschaft bei der C.________AG sowie bei der D.________Bank Bankunterlagen ab dem 1. Januar 2021 zu Bankkonti von A.________, worauf deren Verteidigung am 6. Juni 2023 die Siegelung dieser Unterlagen verlangte. Am 20. Juni 2023 ersuchte die Staatsanwaltschaft beim Zwangsmassnahmengericht des Bezirks Pfäffikon um die Entsiegelung der sichergestellten Unterlagen.  
Mit Verfügung vom 12. September 2023 ordnete das Zwangsmassnahmengericht die vollumfängliche Entsiegelung der edierten Bankunterlagen nach unbenutztem Ablauf der Rechtsmittelfrist an, wobei sie die "Entsiegelung und Durchsuchung" der Staatsanwaltschaft überliess (Verfahren Nr. GT230006). 
 
B.b. Anlässlich der bei A.________ durchgeführten Hausdurchsuchung vom 25. Mai 2023 wurden deren Mobiltelefon iPhone (A017'418'461), Steuerunterlagen (A017'420'063) sowie zwei Ordner (A017'420'085 und A071'420'096) sichergestellt. Nachdem ihr Verteidiger am 25. Mai 2023 für sämtliche sichergestellten und in ihrem Eigentum stehenden Datenträger und Aufzeichnungen die Siegelung verlangt hatte, ersuchte die Staatsanwaltschaft am 31. Mai 2023 beim Zwangsmassnahmengericht um die Entsiegelung der sichergestellten Datenträger.  
Mit Verfügung vom 12. September 2023 ordnete das Zwangsmassnahmengericht die Entsiegelung der Steuerunterlagen, der zwei Ordner sowie des Mobiltelefons iPhone von A.________ an, unter Ausschluss von deren Korrespondenz in der App "Mail" mit Rechtsanwalt E.________ und Ärztinnen und Ärzten, namentlich dem Hausarzt Dr. med. F.________, Spitälern, namentlich dem Universitätsspital Zürich, und Psychologinnen, namentlich Dr. G.________ und H.________. Die "Entsiegelung, Aussonderung und Durchsuchung" überliess sie der Staatsanwaltschaft (Verfahren Nr. GT230004). 
 
C.  
A.________ gelangt mit zwei separaten Beschwerden in Strafsachen an das Bundesgericht (Verfahren 7B_805/2023 und 7B_806/2023) und beantragt jeweils, die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 12. September 2023 (GT230006 bzw. GT230004) aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung und Durchführung eines bundesrechtskonformen Verfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Mit Präsidialverfügung vom 8. November 2023 wurden die Verfahren 7B_805/2023 und 7B_806/2023 vereinigt und den Beschwerden die aufschiebende Wirkung zuerkannt. 
Das Zwangsmassnahmengericht und die Staatsanwaltschaft haben in beiden Verfahren auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Angefochten sind nach aArt. 248 Abs. 3 lit. a StPO kantonal letztinstanzliche Entscheide eines Zwangsmassnahmengerichts. Dagegen steht gemäss Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BGG die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht nach Art. 78 ff. BGG grundsätzlich offen. Die angefochtenen Entsiegelungsentscheide schliessen das gegen die Beschwerdeführerin laufende Strafverfahren nicht ab und betreffen weder die Zuständigkeit noch ein Ausstandsbegehren im Sinne von Art. 92 BGG. Demnach sind sie gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG nur dann unmittelbar mit Beschwerde an das Bundesgericht anfechtbar, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können. Beim drohenden nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne dieser Bestimmung muss es sich um einen solchen rechtlicher Natur handeln. Nicht wieder gutzumachend bedeutet, dass er auch mit einem für die beschwerdeführende Person günstigen Endentscheid nicht oder nicht vollständig behoben werden kann. Ein lediglich tatsächlicher Nachteil wie die Verteuerung oder Verlängerung des Verfahrens genügt nicht (BGE 148 IV 155 E. 1.1; 144 IV 321 E. 2.3; je mit Hinweisen). Wird im Entsiegelungsverfahren ausreichend substanziiert geltend gemacht, dass einer Entsiegelung geschützte Geheimhaltungsrechte entgegenstehen, droht nach der Praxis des Bundesgerichts ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG, weil die Offenbarung eines Geheimnisses nicht rückgängig gemacht werden kann. Werden dagegen (lediglich) andere Beschlagnahmehindernisse wie insbesondere ein mangelnder Deliktskonnex geltend gemacht, fehlt es grundsätzlich am drohenden nicht wieder gutzumachenden Nachteil (Urteile 7B_111/2022 vom 11. März 2024 E. 2.3; 7B_108/2022 vom 27. Dezember 2023 E. 1.2; 7B_106/2022 vom 16. November 2023 E. 1.2; je mit weiteren Hinweisen). Woraus sich der nicht wieder gutzumachende Nachteil ergeben soll, ist in der Beschwerdeschrift darzulegen, sofern dies nicht offensichtlich ist (BGE 141 IV 284 E. 2.3, 289 E. 1.3, je mit Hinweisen).  
 
1.2. Im Beschwerdeverfahren 7B_805/2023 bringt die Beschwerdeführerin vor, sofern eine Gehörsverletzung gerügt werde, sei unabhängig davon auf eine Beschwerde in Strafsachen einzutreten, ob der Betroffenen wegen eines Eingriffs in ihre rechtlich geschützten Geheimnisinteressen ein nicht wieder gutzumachender Rechtsnachteil drohe. Dieser Auffassung kann so nicht gefolgt werden, bezieht sich die Beschwerdeführerin doch auf zwei Urteile des Bundesgerichts (1B_151/2018 vom 30. April 2018 und 1B_331/2018 vom 30. November 2018), in denen dem jeweiligen Beschwerdeführer nicht vorgehalten werden konnte, er habe im vorinstanzlichen Entsiegelungsverfahren noch keine Geheimnisschutzgründe ausreichend substanziiert, weil ihm dort das rechtliche Gehör verweigert worden war. Vorliegend macht die Beschwerdeführerin geltend, die Vorinstanz habe sich bei ihrem Entscheid (GT230006) auf Akten gestützt, welche erst nach der Stellungnahme der Beschwerdeführerin dem Gericht ohne Aufforderung durch die Beschwerdegegnerin zugestellt worden seien und zu welchen sie (die Beschwerdeführerin) sich mangels Kenntnis nie habe äussern können. Dass sie deshalb im vorinstanzlichen Verfahren GT230006 keine Geheimnisschutzgründe hätte ausreichend substanziieren können, tut die Beschwerdeführerin nicht dar. Auch darüber hinaus behauptet sie keinen nicht wieder gutzumachenden Rechtsnachteil. Auf die Beschwerde im Verfahren 7B_805/2023 ist demnach nicht einzutreten.  
 
1.3. Im Entsiegelungsverfahren GT230006 bejahte die Vorinstanz schützenswerte Geheimhaltungsinteressen der Beschwerdeführerin zumindest in Bezug auf die von dieser spezifizierte Korrespondenz mit ihrem Anwalt E.________ sowie Ärzten und Psychologen in der "Mail"-App auf dem sichergestellten Mobiltelefon. Soweit die Beschwerdeführerin vorliegend geltend macht, das Zwangsmassnahmengericht verletze Bundesrecht, wenn es die Aussonderung dieser schützenswerten Geheimnisse der Beschwerdegegnerin überlasse, droht ihr - auch mit Blick auf nachstehende Rechtsprechung (vgl. E. 2.1) - ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG. In diesem Umfang ist auf die Beschwerde im Verfahren 7B_806/2023 einzutreten.  
Auf die Beschwerde ist demgegenüber nicht einzutreten, soweit die Beschwerdeführerin damit die Entsiegelung als solche anficht und dabei eine Verletzung von Art. 197 Abs. 1 lit. b, c und d StPO rügt. Inwiefern ihr in Bezug auf die übrigen, von der Vorinstanz zur Entsiegelung freigegebenen Datenträger und Aufzeichnungen ein nicht wieder gutzumachender Nachteil drohen sollte, zeigt sie nämlich nicht auf und ist auch nicht offenkundig. 
 
2.  
 
2.1. Aufzeichnungen und Gegenstände, die nach Angaben der Inhaberin oder des Inhabers wegen eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts oder aus anderen Gründen nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden dürfen, sind zu versiegeln und dürfen von den Strafbehörden weder eingesehen noch verwendet werden. Stellt die Strafbehörde innert 20 Tagen ein Entsiegelungsgesuch, so entscheidet darüber im Vorverfahren das Zwangsmassnahmengericht innerhalb eines Monats endgültig. Das Gericht kann zur Prüfung des Inhalts der Aufzeichnungen und Gegenstände eine sachverständige Person beiziehen (aArt. 248 StPO; vgl. seit dem 1. Januar 2024 nArt. 248a Abs. 6 lit. a StPO, wonach das Gericht eine sachverständige Person beiziehen kann, um den Inhalt der Aufzeichnungen und Gegenstände zu prüfen, den Zugang zu diesen zu erhalten oder deren Integrität zu gewährleisten).  
Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichts hat im Entsiegelungsverfahren nicht die Untersuchungsbehörde, sondern, allenfalls unter Beizug einer sachverständigen Person, das Zwangsmassnahmengericht zu prüfen, ob schutzwürdige Geheimnisinteressen oder andere gesetzliche Entsiegelungshindernisse einer Durchsuchung entgegenstehen. Dieses Vorgehen dient namentlich der Verhinderung von Zufallsfunden sowie der Wahrung der unter verfassungsrechtlichem Schutz stehenden Privat- und Geheimsphäre gemäss Art. 13 BV (BGE 148 IV 221 E. 2.3 mit Hinweisen). 
 
2.2. Die Vorinstanz überlässt - ohne weitere Begründung - die "Entsiegelung, Aussonderung und Durchsuchung" hinsichtlich der im Entsiegelungsverfahren GT230004 sichergestellten Datenträger und Aufzeichnungen der Beschwerdegegnerin. Wenn sie mithin die Triage an die Beschwerdegegnerin als Strafverfolgungsbehörde delegiert, anstatt sie selber vorzunehmen oder von einer beigezogenen sachverständigen Person vornehmen zu lassen, ist dies nicht mit dem Bundesrecht vereinbar. Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als begründet.  
 
3.  
 
3.1. Auf die Beschwerde im Verfahren 7B_805/2023 ist nicht einzutreten. Die Gerichtskosten in diesem Verfahren sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).  
 
3.2. Die Beschwerde im Verfahren 7B_806/2023 ist teilweise gutzuheissen. Dispositiv-Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung GT230004 ist aufzuheben und die Sache im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Im Übrigen ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. Die Gerichtskosten im Verfahren 7B_806/2023 sind der Beschwerdeführerin im Umfang ihres Unterliegens aufzuerlegen (vgl. Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Soweit die Beschwerdeführerin im bundesgerichtlichen Verfahren obsiegt, hat der Kanton Zürich ihr eine Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 2 BGG).  
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde im Verfahren 7B_805/2023 wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Die Gerichtskosten im Verfahren 7B_805/2023 von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerde im Verfahren 7B_806/2023 wird teilweise gutgeheissen. Dispositiv-Ziffer 2 der Verfügung GT230004 des Bezirksgerichts Pfäffikon, Zwangsmassnahmengericht, vom 12. September 2023 wird aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird auf die Beschwerde nicht eingetreten. 
 
4.  
Die Gerichtskosten im Verfahren 7B_806/2023 werden der Beschwerdeführerin im Umfang von Fr. 1'000.-- auferlegt. 
 
5.  
Der Kanton Zürich hat die Beschwerdeführerin im Verfahren 7B_806/2023 für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen. 
 
6.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Bezirksgericht Pfäffikon, Zwangsmassnahmengericht, Einzelrichter, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 28. Juni 2024 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Der Gerichtsschreiber: Stadler