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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_549/2023  
 
 
Urteil vom 25. Juni 2024  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Métral, 
Gerichtsschreiberin Durizzo. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Fürsprecher Harold Külling, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Aargau, 
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente, Revision), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 17. Juli 2023 (VBE.2023.128). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. A.________, geboren 1972, bezog ab 1. Oktober 2010 eine ganze Rente der Invalidenversicherung wegen psychischer Beschwerden (Gutachten des Dr. med. B.________, Facharzt Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 22. November 2010) und unter Annahme, dass sie als Mutter von drei Kindern (geboren 1998, 1999 und 2003) im Gesundheitsfall zu 60 % erwerbstätig und zu 40 % im Haushalt beschäftigt wäre (Verfügung vom 6. Februar 2012).  
 
A.b. Im Zuge einer von Amtes wegen eingeleiteten Rentenrevision holte die IV-Stelle des Kantons Aargau die Gutachten von med. pract. C.________, Facharzt Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 22. Dezember 2016, von lic. phil. D.________, Fachpsychologe für Neuropsychologie FSP, vom 27. Juli 2017 sowie des Ärztlichen Begutachtungsinstituts ABI, Basel, vom 13. März 2018 mit Ergänzung vom 4. Juli 2019 ein und klärte erneut die Einschränkung im Haushalt ab (Bericht vom 18. Mai 2018). Mit Verfügung vom 4. September 2018 hob sie den Rentenanspruch per 31. Oktober 2018 auf.  
 
A.c. Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau hiess die von A.________ erhobene Beschwerde mit Urteil vom 16. Juli 2019 teilweise gut und wies die Sache zur weiteren psychiatrischen Abklärung an die IV-Stelle zurück. Diese holte ein Gutachten des Dr. med. E.________, Facharzt Psychiatrie und Psychotherapie FMH, speziell Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, vom 25. Januar 2021 ein. Mit Verfügung vom 7. Februar 2023 hob sie den Rentenanspruch erneut per 31. Oktober 2018 auf.  
 
B.  
Die dagegen von A.________ erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 17. Juli 2023 ab. 
 
C.  
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils sei ihr auch über den 31. Oktober 2018 hinaus eine ganze Invalidenrente zuzusprechen. 
Nach Beizug der vorinstanzlichen Akten verzichtet das Bundesgericht auf einen Schriftenwechsel. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 mit Hinweisen).  
 
1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE 145 V 57 E. 4).  
 
2.  
Streitig ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie die Verfügung der IV-Stelle vom 7. Februar 2023 mit Rentenaufhebung per 31. Oktober 2018 bestätigte. Zur Frage steht dabei, ob ein Revisionsgrund vorlag und ob sich der Gesundheitszustand aus psychiatrischer Hinsicht gestützt auf das Gutachten des Dr. med. E.________ zuverlässig beurteilen liess. 
 
3.  
Das kantonale Gericht stellte zunächst zutreffend fest, dass angesichts der hier streitigen Rentenaufhebung per 31. Oktober 2018 die bis 31. Dezember 2021 gültig gewesene Fassung des IVG (und nicht der am 1. Januar 2022 in Kraft getretenen Änderungen [Weiterentwicklung der IV WEIV]) anzuwenden ist, auch wenn die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegende Verfügung nach dem 1. Januar 2022 erging (Urteile 8C_435/2023 vom 27. Mai 2024; 8C_385/2023 vom 30. November 2023 E. 2 mit Hinweisen). 
Es wird des Weiteren auf die zutreffende vorinstanzliche Darstellung der Bestimmung über die Rentenrevision (Art. 17 ATSG) verwiesen. Hervorzuheben ist, dass eine Revision der Invalidenrente bei jeder wesentlichen Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen zu erfolgen hat, wenn diese geeignet ist, den Invaliditätsgrad und damit den Rentenanspruch zu beeinflussen. Dies gilt nicht nur für wesentliche Veränderungen des Gesundheitszustandes, sondern auch für erhebliche Veränderungen der erwerblichen Auswirkungen des an sich gleich gebliebenen Gesundheitszustandes (BGE 130 V 343 E. 3.5). Richtig wiedergegeben wird im angefochtenen Urteil die dabei zu beachtende Regel, dass der Rentenanspruch bei gegebenem Revisionsgrund für den Zeitpunkt der Revisionsverfügung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht umfassend ("allseitig") neu zu prüfen ist (BGE 144 I 28 E. 2.2; 141 V 9 E. 2.3; 134 V 131 E. 3). 
Zutreffend dargestellt werden im angefochtenen Urteil schliesslich die zu beachtenden Regeln über den Beweiswert von ärztlichen Berichten und Gutachten (BGE 134 V 231 E. 5.1; 125 V 351 E. 3a mit Hinweis). Hervorzuheben ist diesbezüglich, dass auf ein versicherungsexternes Gutachten praxisgemäss abzustellen ist, sofern nicht konkrete Indizien gegen dessen Zuverlässigkeit sprechen (BGE 137 V 210 E. 1.3.4; 135 V 465 E. 4.4; 125 V 351 E. 3b/bb). Die unterschiedliche Natur von Behandlungsauftrag der therapeutisch tätigen (Fach-) Person einerseits und Begutachtungsauftrag des amtlich bestellten fachmedizinischen Experten anderseits (BGE 124 I 170 E. 4) lässt es rechtsprechungsgemäss nicht zu, ein Administrativ- oder Gerichtsgutachten stets in Frage zu stellen und zum Anlass weiterer Abklärungen zu nehmen, wenn die behandelnden Arztpersonen beziehungsweise Therapiekräfte zu anderslautenden Einschätzungen gelangen. Vorbehalten bleiben Fälle, in denen sich eine abweichende Beurteilung aufdrängt, weil diese wichtige - und nicht rein subjektiver Interpretation entspringende - Aspekte benennen, die bei der Begutachtung unerkannt oder ungewürdigt geblieben sind (BGE 135 V 465 E. 4.5; 125 V 351 E. 3b/cc; SVR 2017 IV Nr. 7 S. 19, 9C_793/2015 E. 4.1; Urteile 8C_630/2020 vom 28. Januar 2021 E. 4.2.1; 8C_370/2020 vom 15. Oktober 2020 E. 7.2). 
 
4.  
 
4.1. Gemäss Vorinstanz lag der rentenzusprechenden Verfügung vom 6. Februar 2012 die Annahme zugrunde, dass die Beschwerdeführerin als Gesunde zu 60 % erwerbstätig und zu 40 % im Haushalt beschäftigt wäre, während sie zwischenzeitlich unbestrittenermassen ein Vollzeitpensum ausüben würde. Mit diesem Statuswechsel sei ein Revisionsgrund gegeben. Gestützt auf das voll beweiskräftige psychiatrische Gutachten des Dr. med. E.________ sei eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit nicht mehr ausgewiesen. Gleiches gelte unbestrittenerweise auch in somatischer Hinsicht, wie durch das ABI-Gutachten erstellt.  
 
4.2. Die Beschwerdeführerin bestreitet zunächst, dass ein Revisionsgrund vorliege. Eine gesundheitliche Verbesserung sei nicht ausgewiesen und das Gutachten des Dr. med. E.________ insbesondere mit Blick auf dasjenige von med. pract. C.________ und die Einschätzungen ihrer behandenlnden Ärztinnen auch sonst nicht beweiskräftig.  
 
5.  
 
5.1. Inwiefern das kantonale Gericht offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellungen getroffen oder sonstwie Bundesrecht verletzt haben sollte, indem es die Voraussetzungen für eine Rentenrevision als erfüllt erachtete, ist nicht erkennbar. Dies gilt insbesondere bezüglich der vorinstanzlichen Annahme, dass die Beschwerdeführerin zwischenzeitlich wiederum ein Vollzeitpensum ausüben würde, wenn sie gesund wäre, statt der Teilzeitbeschäftigung, die der Invaliditätsbemessung zum Zeitpunkt der ursprünglichen Rentenzusprechung zugrunde lag, was beschwerdeweise nicht bestritten wird. Dass die Vorinstanz wegen des Statuswechsels von einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen ausgegangen ist, die eine Rentenrevision unter umfassender Neuprüfung des Rentenanspruchs nach sich ziehen muss, ist nicht zu beanstanden. Mit ihrem Einwand, die Revision sei unzulässigerweise erst im Nachhinein mit dem Statuswechsel begründet worden, nachdem die Beschwerdegegnerin dafür im Vorbescheidverfahren noch eine rentenerhebliche Verbesserung ihres Gesundheitszustands angegeben habe, vermag die Beschwerdeführerin mit Blick auf die massgeblichen Rechtsgrundlagen nicht durchzudringen. Entgegen ihrer Auffassung bedarf es nicht zusätzlich noch einer Verbesserung in gesundheitlicher Hinsicht.  
 
5.2.  
 
5.2.1. Dass sich der Gutachter Dr. med. E.________ mit dem zuletzt genannten Aspekt einer rentenerheblichen gesundheitlichen Verbesserung nicht hinlänglich auseinandergesetzt habe, wie die Beschwerdeführerin vorbringt, vermöchte die Beweiskraft seiner Beurteilung nach dem Gesagten von vornherein nicht zu schmälern.  
 
5.2.2. Gleiches gilt hinsichtlich ihres Einwands der Unzuverlässigkeit des Gutachtens beziehungsweise zusätzlich einer Voreingenommenheit des Experten wegen seiner Erwägungen zum Medikamentenspiegel. Der Gutachter gab zu bedenken, es sei mangels der vorab erbetenen umfassenden Laborkontrolle (einschliesslich eines Tests von Abbauprodukten) nicht zu beurteilen, ob die Beschwerdeführerin die verordneten Medikamente über einen längeren Zeitraum eingenommen habe oder nur kurz vor der Blutabnahme. Dass die Vorinstanz diesbezüglich offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellungen getroffen haben sollte, zeigt die Beschwerdeführerin nicht auf. Gemäss kantonalem Gericht bildete diese Frage ebenso wie diejenige nach nicht getesteten Suchtsubstanzen (welche sich auf die psychische Befindlichkeit auswirken könnten) nur einen Aspekt der Befunderhebung und der Beurteilung, ob allenfalls ein psychisches Leiden mit der erforderlichen Schwere die Annahme einer Einschränkung der Arbeitsfähigkeit zu begründen vermöge.  
 
5.2.3. Die Beschwerdeführerin rügt des Weiteren, sie habe bereits im vorinstanzlichen Verfahren geltend gemacht, dass ihre Angaben anlässlich der Untersuchung im Gutachten falsch wiedergegeben worden seien, wozu sich das kantonale Gericht nicht geäussert habe. Der Einwand wurde indessen bereits in der Beschwerde an das kantonale Gericht - ebenso wie auch letztinstanzlich - nicht substanziiert. Daraus lässt sich keine Verletzung der vorinstanzlichen Begründungspflicht ableiten (BGE 142 II 49 E. 9.2; 126 I 97 E. 2b; 124 V 180 E. 1a; SVR 2001 IV Nr. 17 S. 49, I 582/99 E. 2a; Urteil 9C_440/2017 vom 19. Juli 2017 E. 7.3.2). Im Übrigen bestand damals auch keine gesetzliche Vorgabe zur Tonaufnahme des Interviews (vgl. Art. 44 Abs. 5 ATSG und Art. 7k ATSV, beide in Kraft seit 1. Januar 2022). Die Beschwerdeführerin vermag daher keine Unzuverlässigkeit des Gutachtens zu begründen.  
 
5.2.4. Sie macht weiter sinngemäss geltend, die vom Gutachter durchgeführte Beschwerdevalidierung mittels SRSI-Fragebogen (Self-Report Symptom Inventory) sei für sie nicht nachvollziehbar und daher im Rahmen der Begutachtung unzulässig. Gemäss den Qualitätsleitlinien der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie SGPP für versicherungspsychiatrische Gutachten ist der Einsatz von Testverfahren zur Beschwerde- beziehungsweise Symptomvalidierung sinnvoll (Anhang 4). Inwiefern Dr. med. E.________ als psychiatrischer Facharzt mit Ausbildungsschwerpunkt Forensische Psychiatrie und Psychotherapie nicht befähigt sein sollte für eine entsprechende Beurteilung unter Anwendung des erwähnten Testverfahrens, ist nicht erkennbar. Wenn die Ergebnisse des Validierungstests gemäss Gutachter nur dazu dienten, seine Einschätzung aufgrund der persönlichen Befunderhebung noch zusätzlich zu stützen, vermag dies entgegen der Beschwerdeführerin keine Zweifel an der Zuverlässigkeit des Gutachtens zu begründen beziehungsweise die sich ebenfalls daran anlehnende vorinstanzliche Beurteilung als offensichtlich unrichtig oder sonstwie bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen.  
 
5.2.5. Die Beschwerdeführerin bringt gegen die Beweiskraft des Gutachtens des Dr. med. E.________ schliesslich vor, dass dessen Beurteilung der Einschätzung ihrer behandelnden Ärzte, aber auch derjenigen des Vorgutachters med. pract. C.________ diametral entgegenstehe. Die Vorinstanz würdigte das Gutachten des Dr. med. E.________ insbesondere auch mit Blick auf die von ihm verworfenen Diagnosen einer somatoformen Schmerzstörung sowie einer posttraumatischen Belastungsstörung und der damit allenfalls einhergehenden erheblichen Schwere des psychischen Leidens eingehend. Inwiefern sie dabei offensichtlich unrichtige Feststellungen in sachverhaltlicher Hinsicht getroffen oder die zu beachtenden Beweiswürdigungsregeln missachtet haben sollte, zeigt die Beschwerdeführerin nicht auf. Die blosse Wiedergabe abweichender ärztlicher Einschätzungen der Arbeitsfähigkeit vermag dafür nicht zu genügen.  
 
5.2.6. Es ist damit insgesamt nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz gestützt auf die im Revisionsverfahren eingeholten Gutachten, insbesondere auch des Psychiaters Dr. med. E.________, von einer vollumfänglichen Wiederherstellung der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit ausging und den Rentenanspruch per 31. Oktober 2018 aufhob.  
 
5.3. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen.  
 
6.  
Die Gerichtskosten werden der unterliegenden Beschwerdeführerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 25. Juni 2024 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Die Gerichtsschreiberin: Durizzo